„Ausnahmezustand“ am Ostersamstag (nicht nur) in Beit Jala

fast wie in Extase

Ostersamstag im christlichen Deutschland, der Tag zwischen dem Karfreitag, an dem für die Christen Jesus am Kreuz gestorben und ins Grab gelegt wurde und dem Ostersonntag, an dem Jeus von den Toten auferstanden ist. Für mich als gläubiger Christ, war/ist dieser Tag „dazwischen“ immer eher ein ruhiger Tag an dem man sich auf das Osterfest „vorbereitete“, also einkaufen geht, die Wohnung putz alles eben schön macht.
Ganz anders ist dieser Ostersamstag für die orthodoxen Christen, die in diesem Jahr zeitgleich, was eher die Ausnahme ist, mit uns Katholiken und Protestanten das Osterfest feiern. Der Tag vor dem Ostersonntag ist für die orthodoxen Christen der Tag, an dem in der Grabeskirche (für die Orthodoxen die „Auferstehungskirche“) in Jerusalem das Wunder des „Heiligen Feuers“ geschieht. Es ist für sie das größte „aller christlichen Wunder“. Um 14 Uhr entfacht sich das heilige Feuer und wird anschließend nicht nur zu den Christen in Israel und dem Westjordanland gebracht wird.  Es gibt Sonder-Flüge mit dem heiligen Licht nach Russland, Griechenland, Rumänien, Armenien…
Weitere Infos zum „Heiligen Feuer“

in gespannter Erwartung

Wie in allen christlich-orthodoxen Gemeinden erwartet man auch in Beit Jala, dessen Einwohner (etwa 15.000) mehrheitlich Christen sind, am heutigen Ostersamstag das heilige Feuer. Ich hatte schon viel von dem großen Fest hier in Beit Jala gehört und war froh es heute bei leichtem Sonnenschein, einmal selbst erleben zu dürfen. Rechtzeitig, so gegen 12 Uhr, war an der orthodoxen St. Georgs-Kirche, mitten in Beit Jala. Auf dem Weg dort hin sah ich schon junge Männer, die große Autos mit Blumen schmückten und in einheitlichen weißen T-Shirts mit rhythmischen Rufen „in Stimmung“ brachten. An der Kirche war eine gro0e Video-Wand aufgebaut. Auf ihr konnte man die Zeremonie in der Grabes(Auferstehungs-)Kirche in Jerusalem sehen.

sehen und gesehen werden

Ich postierte mich oberhalb der Straße, durch die sonst der meiste Verkehr geht, heute war sie ab 13 Uhr gesperrt. Immer mehr Menschen kamen, viele brachten Kerzen mit. Alle waren schön angezogen, in etwa so wie es bei uns zu Weihnachten Brauch ist, wenn man (viele ja nur einmal im Jahr) den Gottesdienst besucht. Nur hier ist es eben schon wärmer es ist ja auch erst früher Nachmittag. Entsprechend „luftig“ waren vor allem die jungen „Damen“ angezogen. Viele Menschen hatten sich ein Kreuz um gehangen, die Frauen als Schmuck eher kleiner, die Männer oft aus Holz, größer.
Ein wenig hatte es mittlerweile „Volksfest-Charakter“: der Geruch von Pop-Corn durchzog die Straße, es wurde Zuckerwatte und Luftballons verkauft.

Um 14 Uhr gab es einen Aufschrei bei den Menschen die auf der Videowand das Geschehen in Jerusalem beobachteten: das Wunder ist auch im Jahre 2017 wieder geschehen: der griechisch-orthodoxe Patriarch aus Jerusalem ist mit dem Heiligen Feuer aus der Grabeskammer gekommen. Nun wuchs auch die Spannung
hier in Beit Jala von Minute zu Minute spürbar. Die Straße vor der Kirche war nun eng gefüllt mit erwartungsvollen Menschen. Jeder suchte sich einen Platz von dem er gute Sicht und (ganz wichtig) gute Filmmöglichkeit hat. Ich denke Tausende Videofilme wurden heute mit dem Handy gemacht und wahrscheinlich direkt auf You-Tube eingestellt. Irgendwann rief auch noch der Muezzim, ich hatte das Gefühl heute besonders laut.

Im Übrigen gab es hier auch einige professionelle Kameras, die das Geschehen, auch für die vielen Beit Jalis in aller Welt (in Chile leben allein mehr als jetzt in Beit Jala) aufnahmen. Irgendwann startete auch eine Drohne für die Luftaufnahmen. Ja wir sind auch hier in Palästina im Jahre 2017, es geht auch hier technisch alles….

mit viel Rhythmus die zahlreichen Trommel und Dudelsack-Gruppen

Dann so gegen 15.30 setzte sich ein langer Zug in Bewegung mit vielen Trommel und Dudelsackgruppen, Fahnen, Abordnungen der Pfadfinder kamen und endlich kam sie die „heilige Flamme“, getragen vom örtlichen Oberhaupt der orthodoxen Kirchen, flankiert mit den weltlichen „Würdenträgern“ (ich vermute den Bürgermeister), im Gefolge die, die etwas auf sich halten, fast wie bei uns zu änlichen Anlässen dachte ich mir.

das „heilige Feuer“

Das Licht wurde dann unter feierlichen Gesängen in die Kirche gebracht, dann auch hier der „Aufschrei“ und in Windeseile verteilte sich das Licht an die Menschen. Alle schauten wirklich beglückt aus, wünschten sich frohe Ostern und gingen, das Licht oft in kleinen Laternen, wohl nach Hause. Dort gibt es dort wohl ein schönes Essen, eben ganz wie bei uns zu Weihnachten oder –wie ich es auch gesehen habe- man geht in ein Restaurant.

mit dem „Heiligen Feuer“ nach Hause

Einen wirklich größeren Kontrast zum Ostersamstag bei uns kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Mein Erleben heute hier hat sämtliche Erwartungen übertroffen. Ich habe immer zwischendurch daran gedacht, die leben doch seit 50 Jahre unter Besatzung, die Mauer im Cremisan-Tal ist nur 800 Meter entfernt, wie können die so ausgelassen feiern, sich so freuen? Und das nicht nur hier in Beit Jala, an allen Orten in Israel und dem Westjordanland, wo sich noch christliche (orthodoxe) Gemeinden befinden, wurde heute sicherlich ähnlich enthusiastisch gefeiert. Vielleicht gibt der Volksglaube eine Auskunft:
Der sagt nämlich Solange sich das (Heilige) Feuer entfacht geht die Welt nicht unter.


Tageszitat aus „Recht ströme wie Wasser“

Wenn Juden im Westen fünfzig Jahre nach der Shoa mit denen zusammenleben können, die sie vernichten wollten, könnte es doch auch möglich sein, dass nach weiteren fünfzig Jahren Juden und Palästinenser harmonisch zusammenleben?

Von Marc Ellis (US-amerikanischer jüdischer Befreiungstheologe und Friedensaktivist.)

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

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