„Für den Frieden braucht es mutige Männer“ (Jassir Arafat)

Heute nun machten wir uns auf den Weg zur letzten Station unserer Reise: Jaffa und Tel Aviv. Auf dem Weg dort hin machten wir zunächst Halt in Rahat, einer der insgesamt sieben „Beduinen-Städte“ im Negev. Schon auf dem Weg dort hin haben wir zahlreiche kleine Dörfer/Camps gesehen wo Beduinen unter einfachsten Bedingungen leben. Um ein wenig die Situation zu begreifen, in der sich heute die in Israel verbliebenen Beduinen befinden, erlaube ich mir aus einem Hintergrundbericht zu zitieren, den ich 2013 für die Nahost-Kommission von Pax Christi erstellt habe:

Rahat: die Schafe haben in der Stadt keinen Platz
Rahat: die Schafe haben in der Stadt keinen Platz

Der wasserarme Negev war die Heimstatt für palästinensische und beduinische Bürger schon lange,  bevor der Staat Israel gegründet wurde.
Vor 1948 siedelten 65 000 bis 90 000 Beduinen in der Negev-Wüste. Fast 90 Prozent dieser Halbnomaden lebten traditionell vom Ackerbau, die restlichen 10 Prozent von der Viehzucht. Während des Kriegs von 1948/49 wurden etwa 85 Prozent der Beduinen des Negev von ihrem Land vertrieben und flüchteten ins Westjordanland, nach Gaza, Jordanien oder Ägypten. Anfang der 1950er Jahre waren von den ursprünglich 95 Beduinenstämmen im Negev nur noch 19 übrig.
Nachdem über die palästinensische Bevölkerung auf der israelischen Seite der grünen Linie das Kriegsrecht verhängt worden war, durften die Beduinen nicht mehr mit ihren Herden umherziehen und auch ihr Land nicht mehr bestellen. Zwölf der verbliebenen 19 Stämme wurden gewaltsam von ihrem Land vertrieben und durften sich nur noch in einem eingegrenztes Gebiet im nordöstlichen Negev aufhalten, das sie nur mit einer Sondererlaubnis verlassen konnten. Dieses Siyag (deutsch: Zaun) genannte Gebiet umfasst etwa 10 Prozent des Landes, über das die Beduinen vor 1948 verfügten, und ist darüber hinaus für seine Unfruchtbarkeit bekannt.
Die Beduinen des Negev, heute etwa 180 000 bis 190 000 Menschen, sind israelische Staatsbürger. Die eine Hälfte der Negev Beduinen lebt in

Rahat: Straßenleben
Rahat: Straßenleben

von der Regierung gebauten Siedlungen und Städten. Die größte der sieben „anerkannten“ Beduinenstädte ist Rahat mit über 50.000 Einwohnern. Den Städten und Siedlungen fehlt es oft allerdings an elementarer Infrastruktur wie Gehwegen, asphaltierten Straßen, Banken, Bibliotheken und Arbeitsmöglichkeiten für die Bewohner. Es handelt sich überwiegend um Schlafstädte, die der Kultur der Beduinen in keiner Weise Rechnung tragen und die unumkehrbare Auswirkungen auf das Familienleben und die Sozialstrukturen haben. In den Planungen wurde nicht bedacht, dass Großfamilien beieinander leben wollen. Für die nächsten Generationen ist kein Platz vorgesehen.
In den Beduinenstädten sind Drogenmissbrauch und Arbeitslosigkeit um ein Vielfaches höher als in den umliegenden jüdischen Städten. Und das für sie vorgesehene Land reicht gar nicht aus, um das natürliche Wachstum der Ansiedlungen zu absorbieren. Die Städte stehen wirtschaftlich auf tönernen Füßen, haben weder eine ausreichende Gesundheitsversorgung noch Ausbildungsmöglichkeiten und Freizeitangebote für die Jungen. In allen sozioökonomischen Vergleichsstudien erzielen die Beduinenstädte Jahr für Jahr die niedrigsten Werte.


Karte mit den "illegalen" Dörfern
Karte mit den „illegalen“ Dörfern

Die andere Hälfte der Negev-Beduinen lebt in 40 nicht anerkannten Dörfern, deren Einwohnerzahlen ein paar hundert bis zu einigen tausend erreichen. Obwohl viele dieser Dörfer schon vor der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 existierten, gelten sie als illegal. Sie sind nicht auf den offiziellen Karten verzeichnet, und es gibt dort weder Strom, noch Wasser, keine Schulen, keine Kanalisation oder andere öffentliche Dienstleistungen.
 Am 24. Juni 2013 hat das israelische Parlament, die Knesset, in erster Lesung das „Gesetz zur Regelung der Beduinen in der Negev-Settlement“ auch „Prawer-Begin-Plan“ genannt, mit 43 gegen 40 Stimmen verabschiedet.

Dieser Plan sieht nun die Umsiedlung dieser 30-40.000 Beduinen in die „anerkannten“ Beduinenstädte vor, was die Zerstörung ihrer gemeindlichen und sozialen Lebensart und ihre Verurteilung zu dauerhafter Armut und Arbeitslosigkeit zur Folge haben wird. Gegen dieses Vorhaben gab es weltweit, aber auch in Israel ernsthafte Widerstände. Derzeit wird noch beraten, das Ende ist offen.

Wir hatten heute die Gelegenheit in Rahat, der größten der anerkannten Beduinen-Städte mit dem Vertreter einer Organisation –Majed Abu Blai- zu sprechen die sich vor allem um die Gruppe der schwarzen Beduinen kümmert die vor langer Zeit aus Afrika (hier vor allem aus dem Sudan) in die Negev-Wüste gewandert sind. Ziel ist es durch Erziehung und Bildung eine Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen für die „Generation des Überganges“ zu erreichen. Vor allem die Frauen sind im Fokus der Bemühungen. 70 % der Frauen sind Analphabeten. Sie haben die Möglichkeit in zwei Zentren verschiedene Ausbildungen zu absolvieren. In den 10 Jahren des Bestehens der Gruppe konnte sich die Beschäftigung der Frauen von unter 10% auf 20 % steigern. Erste Frauen haben sich auch für das Studium qualifiziert. Ein mühsamer, aber doch der einzige Weg, um eine bessere gesellschaftliche Integrierung der Beduinen aus eigener Kraft zu erreichen.

Auf dem weiteren Weg nach Tel Aviv haben wir dann noch im

Danny erklärt die Lage
Danny erklärt die Lage

äußersten Südwesten von Israel, in Sichtweite der Grenze (5 km) zum Gaza-Streifen angehalten. Dort hatten wir in einem Seniorenzentrum die Möglichkeit mit Danny Wieler, einem gebürtigen Schweizer zu sprechen. Hier erfuhren wir etwas über das konkrete Betreuungsangebot für die ältere Generation im Bezirk Eskol.

Jedes Haus im Kibbuz hat einen Bunkeranbau
Jedes Haus im Kibbuz hat einen Bunkeranbau

Er berichtete aber auch über die besonderen Belastungen,  durch den seit 10 Jahren andauernden Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen. Wenn auch Danny die tatsächliche Gefahr selbst als sehr gering einschätzt („eine Autofahrt nach Tel Aviv ist gefährlicher“) so sind dennoch das Gefühl der ständigen Bedrohung – gerade für Kinder – teilweise traumatisierend. Für ihn ist die zerstrittene palästinensische Führungsriege das größte Hemmnis für mögliche Friedensbemühungen. Danny erinnerte zum Schluss an den Ausspruch von Jassir Arafat aus dem Jahre 2000, dass für einen wirklichen Frieden starke Männer (Frauen) nötig sind. Derzeit sieht er auf beiden Seiten keine Persönlichkeit, der er solches zutraut.

Blick auf Gaza
Blick auf Gaza

 

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

1 Kommentar

  1. Wir haben Männer genug um Frieden zu schaffen. Die juden haben Itzhak Rabin ermordet.! Ein starker Mann. Die Palästinenser haben ihn nicht geliebt aber sein Wort galt. Israel hat bis jetzt keine kluge Politik nach ihm gemacht. Nur in einer Richtung : Fanatismus

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