Heute gaben die Frauen den Ton an

Auch der heutige Tag war, wie schon die anderen vier Tage unserer Reise, ein langer und auch wieder sehr inhaltsreicher Tag. Es ist jetzt schon viertel nach Zehn und wir sind gerade erst in unserer Unterkunft angekommen und das hat einen besonderen Grund. Aber der Reihe nach….

Nach dem wir gestern hier im Zentrum des heiligen Landes angekommen waren bot es sich fast wie selbstverständlich an, einen ersten Besuch in der „heiligen“ Stadt Jerusalem zu machen. Um acht Uhr machten wir uns mit dem Bus auf die kurze Fahrt von Bethlehem nach Jerusalem (etwa 10 km). Das besondere aber ist hier halt, das wir die große bis zu 8 m hohe Mauer passieren mussten, die seit 2002/2003 eine (fast) unüberwindbare Grenze zwischen den beiden „Geschwister“-Städten bildet. Im Gegensatz zu den vielen tausenden Palästinensern, die , wenn sie eine Arbeitserlaubnis für Israel haben, früh am Morgen zu Fuß – mit oft vielen Schikanen-die Grenze passieren müssen (siehe hierzu meinen Bericht von 2014) hatten wir es wesentlich besser. Mit unserem Kleinbus brauchten wir nur kurz anzuhalten. Nach dem der Fahrer erklärt hatte wer wir sind konnten wir schon weiter fahren. In 20 Minuten waren wir im Zentrum von Jerusalem wo uns Michal schon erwartete. (sie wohnt in Jerusalem).

Blick auf die Dormitioabtei auf dem Zionsberg am Rande der Altstadt, wo wir am Nachmittag ein Gespräch mit dem Benediktinerbruder Natanael führten
Blick auf die Dormitioabtei auf dem Zionsberg am Rande der Altstadt, wo wir am Nachmittag ein Gespräch mit dem Benediktinerbruder Natanael führten

Unser heutiges Programm glich in etwa dem meiner Reisegruppen von 2012 und 2014. Ihr könnt also gerne dort nachlesen und dabei ein wenig nachvollziehen was wir heute, bei schönsten Sonnenschein, klarer Sicht und erträglichen 24 °C in Jerusalem erlebt und gesehen haben.

Michal unsere jüdische Reiseführerin hatte uns angeboten, dass wir, weil wir so eine kleine Reisegruppe sind, bei ihr zu Hause das traditionelle Schabbatessen einnehmen können. Was heißt eigentlich Schabbat?

Blick auf die West(Klage-)mauer, oberhalb der Tempelplatz mit der goldenen Kuppel des Tempeldomes
Blick auf die West(klage-)mauer, darüber der Tempelplatz mit der goldenen Kuppel des Tempeldomes

Juden, Christen und Muslime glauben an die Schöpfungsgeschichte, wie sie im Buch Genesis in der Bibel erzählt wird. Demnach hat Gott nach der Erschaffung der Welt und des Menschen am siebten Tag geruht. Juden nennen diesen Wochentag Schabbat (hebräisch: Ruhetag), er ist in besonderer Weise dem Gottesdienst gewidmet. Ein Tag nach jüdischer Zeitrechnung beginnt mit dem Sonnenuntergang und endet mit dem Einbruch der Dunkelheit. Der Schabbat dauert also von Freitag- bis Samstagabend. Wir waren heute zum Schluss unseres Tagesprogramms an der Westmauer (früher Klagemauer) wo sich besonders viele Juden aus Jerusalem, aber eben auch jüdische Touristen zum Beginn des Schabbat einfinden. Der Schabbat ist für die meisten Juden ein besonderer Tag: Familien und Freunde treffen sich am Freitagabend zum gemeinsamen Essen, und im jüdischen Staat Israel sind am Schabbat die Schulen, Büros und Läden geschlossen, und es fahren auch keine Busse. Die wichtigsten religiösen Regeln des Schabbat sind das Arbeitsverbot, der Synagogenbesuch und das rituelle Essen. Wir sind, bevor eine Sirene in Jerusalem den Beginn des Schabbat verkündet, in den Stadtteil gefahren in dem Michal lebt. Dort konnten wir mit ihr in einem Gebetshaus an dem traditionellen Gottesdienst zum Schabbatbeginn teilnehmen. Vieles haben wir natürlich nicht verstanden aber es war doch für uns ein wundervolles Erlebnis, vor allem auch deshalb, weil zu den Gebeten auch wunderschön gesungen wurde. Während bei den orthodoxen Juden, so informierte uns Michal, in der Regel die Männer beim Gottesdienst dominieren, war es hier heute etwas Besonderes. Wunderschöne Frauenstimmen stimmten die Psalmgesänge anstimmten.

Das Schabbar-Mahl bei Michal
Das Schabbar-Mahl bei Michal

Anschließend sind wir zu Michal nach Hause gegangen, wo uns ein liebevoll gedeckter Tisch erwartete. Auf den Straßen waren im Übrigen keine Autos zu sehen. Die gläubigen Juden lassen für den Schabbat auch ihr Fahrzeug stehen. Das Schabbat-Mahl beginnt mit einem Segensspruch (hebräisch: Kiddusch) über Brot und Wein. Anschließend werden zwei Brote, die an das Manna in der Wüste erinnern, mit Salz betreut und verteilt. Danach begann unser leckeres Mahl welches Michal vorgekocht und warm gestellt hatte, denn sie als gläubige Jüdin darf in der Schabbatzeit kein Feuer (und somit auch keinen Strom) entzünden. Was hier zubereitet wird ist von Familie zu Familie unterschiedlich. Michal, lange Zeit mit einem marokkanischen Juden verheiratet, bereitete und eine leckere marokanische Speise mit Cuscus und vielen lecker gewürzten Salaten. Zum Nachtisch gab es noich einen leckeren Schokoladenkuchen und eine selbstgemachte Mango-Eiscreme mit den Kernen des „Granatapfels“.
Wir machten uns dann spät –ganz erfüllt vom besonderen Erlebnis- auf den kurzen Heimweg durch Auto-und menschenleere Straßen nach Bethlehem. Michal wird am Samstagmorgen die Synagoge besuchen, wo zum Höhepunkt des Gottesdienstes die Torarolle aus dem Schrein genommen, durch den Raum getragen und zur Lesung auf dem Pult aufgeschlagen wird. Am Nachmittag bis zum Schabbatausgang zum Sonnenuntergang, studieren vor allem orthodoxe Juden – so auch Michal- intensiv aus Tora und Talmud. Liberalere jüdische Familien gehen spazieren oder treffen sich mit Freunden.

Wir werden uns morgen auf den sicherlich schwierigeren – da unruhigeren- Weg in die „Prophetenstadt“ Hebron machen.

 

 

 

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

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