Stell dir vor, es ist Krieg in deinem Land und du bekommst es nicht mit…

Nun bin ich erst gestern angekommen und schon kommen aus der Heimat Nachfragen ob hier (bei mir ) alles ok sei. Ich soll bloß vorsichtig sein….

Erst bei Durchsicht der Nachrichten (online) wird mir deutlich was sich, etwa 60 km von Jerusalem entfernt, im Gazastreifen in den vergangenen 24 Stunden ereignet hat und wohl die Nachrichten bei uns beherrscht.

Als ich in der letzten Woche davon las, das es in den letzten Wochen „Geheimverhandlungen“ zwischen Israel und Hamas mit dem Ziel gab, die seit März dauernden gewalttätigen Auseinandersetzungen an der Grenze zum Gazastreifen zu beenden, hatte ich mal wieder (!) Hoffnung für die so sehr leidenden Menschen in dieser Region. Das soll nun einer verstehen, dass in dieser Situation der Verhandlungen über Entspannung, die israelische Armee in einem Geheimkommando in den Gazastreifen eindringt, es dort zu einem Schusswechsel kommt, bei dem einige Palästinenser und ein israelischer Soldat getötet wird. Die Folge ist: Raketenangriffe aus dem Gazastreifen in die benachbarten israelische Siedlungen. Dort werden Israelis getötet und verletzt.  Bomben und Raketenangriffe der israelischen Armee auf Ziele im Gazastreifen. Dort erden Palästinenser getötet und verletzt. So ist das mit den Kriegen: einer (ein Land) fängt immer an: Gewalt erzeugt Gegengewalt und Leidtragenden sind immer die (einfachen) Menschen die letztlich nur in Frieden leben wollen.

ein Bild aus der SZ zeigt die Zerstörungen im Gazastreifen

Ich meine es hilft nicht weiter, wenn diese Eskalation  von unseren Diplomaten im Auswärtigen Amt sehr einseitig dargestellt wird. Das AA schreibt in einer Pressemeldung heute:
„Die Lage im Gaza-Streifen und im Süden Israels ist höchst alarmierend. In den vergangenen Stunden sind hunderte Raketen und Mörser auf Israel abgefeuert worden. Dabei kam mindestens ein Mann ums Leben, viele Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

Wir verurteilen diesen Raketenbeschuss auf das Schärfste. Es kann für diese Gewalt gegen unschuldige Zivilisten keine Rechtfertigung geben. Wir haben immer deutlich gemacht, dass Israel das Recht hat, seine Sicherheit zu verteidigen und auf Angriffe angemessen zu reagieren.“ Hier kann man den ganzen Text lesen.

Und wie ist es hier in Jerusalem, 60 km entfernt (also die Strecke von Neuss, meinem Heimatort, nach Bonn). Was soll ich schreiben: hier herrscht das ganz normale Leben. Die Mönche halten ihre Gebetsstunden, die Touristen „haken“ die nächsten Sehenswürdigkeiten ab, die Händler in der Altstadt gehen ihren Geschäften nach…

geschäftiges Treiben heute auch in der Jerusalemer Altstadt

Ich muss denken: Stell dir vor es ist Krieg bei dir im Land und du bekommst es nicht mit.

Aber so ist das hier eben, es wird Vieles nicht mehr so richtig wahrgenommen.
Da gibt es seit fast 20 Jahren eine Mauer (ein Zaun) der Israel von Palästina trennt und viele Menschen in Israel (aber auch die Besucher/innen) nehmen sie gar nicht war. Da herrscht seit mehr als 50 Jahren eine Besatzungsmacht über ein anderes Volk, mit oft menschenverachtendem Verhalten der Militärs, und es kümmert (scheinbar) hier noch anderswo auf der Welt jemand. Da wohnen mehr als eine halbe Millionen jüdische Israelis in völkerrechtswidrig geschaffenen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet und es wird hier, wie anderswo auf der Welt als selbstverständlich angesehen. Es ist wirklich verrückt was sich hier in dem kleinen Kosmos genannt Palästina ja schon seit Hundert und mehr Jahren ereignet. Die Menschen scheinen abgestumpft, gefühllos. Seit Jahrzehnten kriegerischen Auseinandersetzungen, fast täglichen Gewalttaten, wen wundert diese Lethargie der Menschen.

Ruth Hiller von „New Profile“
Foto by AlbinHillert

Aber es gibt sie eben doch, die Menschen auf beiden Seiten der Mauer und es Zaunes, die sich nicht beirren lassen, sich und ihr Land nicht aufgeben. Von solch einer Friedensgruppe berichtet Mirjam, eine Freiwillige von EAPPI, in ihrem aktuellen Beitrag im Internet. Sie schreibt: „Besonders in Erinnerung ist mir der Vortrag von Ruth Hiller geblieben. Ruth hat die feministische Organisation New Profile mit gegründet, die sich für eine Entmilitarisierung der israelischen Gesellschaft sowie für das Recht auf Verweigerung des Militärdiensts einsetzt. Hier kommt ihr zum ganzen Beitrag  
Mir macht es Mut und eben auch Hoffnung, dass es hier so viele Gruppen gibt die ein Ziel eint: Es möge Frieden werden, es soll zur Aussöhnung und zur Gerechtigkeit kommen.

Deshalb fahre ich hier hin, um diese Menschen kennen zulernen und sie bei ihrem Tun hier und vor allem von Deutschland aus zu unterstützen.

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

1 Kommentar

  1. Heute war ich zur Supervision in einer psychiatrischen Klinik. Vieles ist dort verrückt, vor allem in struktureller Hinsicht. Langsam komme ich zu der Überzeugung, dass das Verrückte der Normalfall ist, dass es unsere Aufgabe ist, dies auszuhalten und wider alle Hoffnung zu gestaltenund nicht zuresignieren.
    Nur so sichern wir das Menschliche, die Humanität. Die Grenzen zwischen dem „Normalen“ (das es eh nicht gibt) und dem „Verrückten“ laufen kreuz und quer.
    Es sind die kleinen Zeichen und scheinbar unbedeutenden Gesten, die Beziehung schaffen und Hoffnung schenken.

Schreibe einen Kommentar zu Heijo Antworten abbrechen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*