Zum Abschied: Tote, Streik und Karneval

Sicherlich wird dem Leser, der Leserin die Überschrift meines heutigen Tagesbericht erschrecken, aber genau in dieser in der Überschrift beschriebenen Spanne haben wir heute an unserem Abreisetag gesteckt. Heute morgen wollte ich noch einige Datteln kaufen um sie mit nach Deutschland zu nehmen. Ich bin deshalb zu dem Obst- und Gemüseladen in der Nähe des Gasthauses gegangen. Schon auf dem Weg dahin habe ich mich gewundert, wieso kein Laden geöffnet war. Alle hatten die eisernen Türen geschlossen. Auch der Obst- und Gemüseladen war zu.

Streik: geschlossene Läden

Im unserem Gasthaus erfuhr ich das heute in der ganzen Region gestreikt wird. Hintergrund des Streikes ist ein schlimmer Vorfall gestern Abend auf der Straße, die aus Bethlehem Richtung Norden aus der Stadt führt. Wie mir ein Mitarbeiter der Abrahams-Herberge erzählte, hat es gestern in der Nähe eines Wachturms an der Ausfahrtstrasse von Bethlehem Richtung Hebron einen Auffahrunfall zwischen 2 palästinensischen Fahrzeugen gegeben. Der Fahrer aus dem erste Fahrzeug dann ausgestiegen und wurde dann unvermittelt aus dem Wachturm angeschossen. Aus einem der Fahrzeuge dahinter, sei ein Mann ihm zu Hilfe gekommen und habe ihm angeboten ihn in ein Bethlehemer Krankenhaus zu fahren. Anschließend wollte er zurückkommen um der Frau und den 3 Kindern des Verletzten, die noch im Auto saßen, zu helfen. Nachdem er den Mann ins Krankenhaus gebracht hatte kehrte er an den Ort zurück. Als es sich dem Auto der Frau und der Kinder näherte ist er ebenfalls angeschossen worden und kurzer Zeit später seinen Schussverletzungen erlegen. Der erschossene Mann war der Cousin der Frau des Mitarbeiters, der mit von diesem schrecklichen Vorfall erzählte..

Natürlich war die ganze Gruppe, die mit gepackten Koffern im Foyer des Gasthauses stand total geschockt von dieser Nachricht. Es bewahrheitete sich in schlimmer Realität, was uns gestern Amjad schon angedeutet hatte. Jedes Mal wenn man in eine (fliegende) Kontrolle gerät, muss man  super vorsichtig sein welche Bewegung man macht. Die oft überängstlichen und nervösen Soldaten haben ihren Finger schnell am Abzug des Gewehres.

Ich weiß nicht ob sich dieser Vorfall aufklären lässt, ob bei den Israelischen Militärbehörde überhaupt ein Interesse besteht an einer vollständigen Aufklärung. Aus vielen Fällen in der Vergangenheit habe ich gehört, dass die Nachforschungen „im Sande verlaufen sind“ 

Nachträglich habe ich hier unter meiner Rubrik „Gastkommentare“, den Beitrag von Gideon Levy in der Zeitung Haaretz am 28. März zu diesem schrecklichen Vorfall eingefügt: eine schockierende Geschichte“

Auf  der Fahrt zum Flughafen haben wir in Jerusalem ,Michal unsere Guide, aufgenommen. Sie hatte von einem Vorfall in den israelischen Nachrichten gehört: „Männer hätten Steine geschmissen und das Militär habe mit Schüssen reagiert…..“

Haus im Friedensdorf Neve Shalom-Wahat al-Salam

Auf dem Weg zum Flughafen haben wir noch einen kleinen Abstecher zum Friedensdorf Neve Shalom – Wahat al-Salam gemacht. Hier bin ich in den Jahren 2012 und 2014 jeweils mit meinen Gruppen und Reuven Moskovitz gewesen, dem großartigen Friedenskämpfer, der 2017 verstorben ist und hier am Rande des Dorfes begraben wurde. Auch heute zum Abschluss unserer Fahrt hat es mich wieder mit der Gruppe hier her gezogen.

Heute war bei wunderschönem Wetter, das prima zum Frühlingsanfang passte, eine wunderbare friedliche Stimmung im Dorf. Die Juden feiern heute Purim, eine Art Karneval und deshalb haben die Kinder auch eine kurze Ferienzeit. Wir sind durch das schöne, paradiesisch anmutende Dorf geschlendert, haben die Blumenpracht bewundert und den Gesang der Vögel gelauscht, wahrlich heute ist Frühlingsanfang. 

Zum Purimfest wird sich verkleidet

Auf dem wunderschön gelegenen Friedhof haben wir das Grab von Reuven besucht um anschließend im „Raum der Stille“ die von Reuven 2014 im gleichen Raum mit seiner Mundharmonika vorgetragenen Psalmmusik zu lauschen. Es ging uns wieder, wie damals „unter die Haut“

Kurz haben wir uns danach zusammengesetzt und jeder hat sein Resümee zur Reise vorgetragen. Ich werde es in den nächsten Tagen an dieser Stelle in meinem Blog veröffentlichen.

das Grab von Reuven

Harter Schnitt dann das Erlebnis am Flughafen. Einer der Teilnehmerinnen hatte  berichtet, dass sie von zu Hause eine SMS bekommen habe mit dem Wunsch, dass sie am Flughafen „starke Nerven“ haben möge…und die braucht man (heute mal wieder) wirklich. Zunächst war insgesamt ein riesen Andrang im Abflug-Terminal. Es dauerte fast eine Stunde, bis wir in dem Bereich angekommen waren wo die Befragung der Fluggäste stattfindet. Aus den Erfahrungen der letzten Jahre weiß ich das zunähst ich, als Gruppenleiter befragt werde. Das geschah auch so. Eine couragierte junge Frau bat mich mitzukommen. Dann wollte sie von mir u.a. wissen wo wir waren, wie die Gruppe zusammen kam, ob ich für meine Leitung Geld bekommen habe, ob die Gruppe immer zusammen gewesen sei, ob es Freizeit gegeben habe, was wir in Nazareth gemacht haben…..Ich kann es gar nicht sagen, aber die Art und Weise wie gefragt wird erzeugt bei mir einen ungeheuren Druck, man hat das Gefühl man sei angeklagt. Anschließend wurde ein Mitglied der Gruppe befragt. Auch sie bestätigte mein Gefühl „mein Herz hat ganz heftig geschlagen“, und „ich kann ein wenig nachfühlen, wie sich die Palästinenser am Checkpoint, oder bei anderen Kontrollen fühlen. Den Israelis geht es wie immer um die „Sicherheit“.  Es besteht die Sorge das Sprengstoffe an Bord der Flugzeuge  „geschmuggelt“ wird.
Aber ehrlich, der der einen Anschlag plant, kommt der mit einer kleinen deutschen Gruppe zum Flughafen…..

ein Hoffnungszeichen

Tageszitat aus „Recht ströme wie Wasser“

Ehe noch die Welt erschaffen war, war der Herr allein mit seinem großen Namen. Da stieg ihm der Gedanke auf, eine Welt zu erschaffen. Und er ritzte vor sich eine Welt hin. Aber die Welt konnte nicht bestehen, bevor er die Umkehr erschuf…..

Er sprach: baue ich die Welt allein auf Barmherzigkeit auf, die Sünde nimmt überhand; lasse ich aber die Härte des Gesetzes allein walten, wie wird da die Welt bestehen? Ich will sie nun auf Milde und Strenge zugleich begründen, und, ach, dass sie dann bestehe.  (Micha Josef bin Gorrion)

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

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