
Das erste was wir heute morgen in den Nachrichten hörten, seit heute Nacht werden wieder Bomben auf den Gazastreifen geworfen, es werden wieder unzähligen Kinder, Frauen und Zivilisten getötet. Wie trügerisch ist die Frühlingssonne, die auch heute über Jerusalem strahlt und angenehme Wärme sendet.
Genau das habe ich aber auch im Vorfeld dieser Reise befürchtet, das die ja sehr labile Waffenruhe nicht hält. Nun muss ich mich an das bedrückende Gefühl gewöhnen, dass nicht weit von mir, der Krieg mit seinen schlimmen Folgen weitergeht.
Unser erster Termin am Morgen war in einer Reformsynagoge, von denen es in Jerusalem fünf gibt. Am Eingang zur Synagoge hängt die Regenbogenfahne mit dem Davidsstern. Damit ist schon das erste sichtbare Zeichen gesetzt für was die Gemeinde „steht“. Zur Gemeinde gehören etwa 300 Familien. das Gespräch führten wir mit dem 47 jährigen Rabbi Oded. Wie vielleicht bekannt, gibt es im Judentum viele Richtungen: mir bekannt sind die Orthodoxen, aber auch die „Nationalen“. Sie unterscheiden sich in Formen und Gebräuchen. Es ist nicht vergleichbar mit den unterschiedlichen christlichen Richtungen Katholiken-Protestanten-Orthodoxe.
Diese jüdischen Gemeinden ist eben in vielem „modern“, so gibt es z.B. keine Trennung der Geschlechter in der Synagoge, es werden moderne Lieder gesungen, auch die Texte unterscheiden sich. So nehmen sie in der Bibel nicht nur die männlichen Propheten in den Blick sondern eben auch die Frauen. Der Kirchenraum ist multifunktional angelegt, eben nicht nur ein Raum für den Gottesdienst. Der Synagoge ist ein Kindergarten angeschlossen, den auch Kinder anderer jüdischer Gruppen besuchen. Die Reform-Juden bekommen allerdings kein Geld vom Staat, die Gemeinde zahlt das Gehalt des Rabbis.

Der Synagogenraum, multifunktional nutzbar, an der linken hinteren Seite der Thora-Schrank
Auch ist der Rabbi, im Gegensatz zu den Rabbis der anderen jüdischen Richtungen, nicht berechtigt staatlich gültige Ehen zu schließen. Auch bemühen sie sich zu Kontakten zu moslemisch-palästinensischen Gruppen aus dem benachbarten Stadtteil. Natürlich hat der 7. Oktober auch in dieser Gemeinde seine „Spuren“ hinterlassen. Einige Gemeindefamilien haben Tote zu beklagen. Es ist oft schwierig im gewünschten gedenken an alle betroffenen Menschen die richtigen Worte zu finden. Also betet die Gemeinde für den Frieden für alle Menschen ohne dabei beispielsweise konkret auch von den Palästinensern zur sprechen.
Anschließend hatte ich mich mit Ilan Baruch verabredet, den ich hier in Jerusalem, seinem Wohnort, schon einmal vor drei Jahren getroffen habe. Ähnlich, wie gestern Helga Baumgarten, sieht er die „Selbstheilungskräfte“ in der israelischen Gesellschaft als sehr gering an. Es bedarf, auch seiner Meinung nach unbedingt den Druck von außen. Er nannte als ein Beispiel die Initiative der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) die im Juni 1980 eine gemeinsame Erklärung zu dem Isarel-Palästina-Konflikt abgegeben hatte, die „Venice Declaration“ Das heißt es in den insgesamt 11 Punkten unter 9.: Die Neun betonen, dass Israel die territoriale Besetzung beenden muss, die es seit dem Konflikt von 1967 aufrechterhält, ebenso wie es dies für einen Teil des Sinai getan hat. Sie sind zutiefst davon überzeugt, dass die israelischen Siedlungen ein ernsthaftes Hindernis für den Friedensprozess im Nahen Osten darstellen. Die Neun sind der Ansicht, dass diese Siedlungen sowie Änderungen der Bevölkerungs- und Eigentumsverhältnisse in den besetzten arabischen Gebieten nach internationalem Recht illegal sind. Aber was ist seit dem geschehen….nichts, im Gegenteil es ist alles viel, viel schlechter geworden. Wir sollten auch die in Deutschland nun politisch Verantwortung tragenden Politiker:innen an das damals geforderte erinnern.
Zum späten Nachmittag bin ich noch den palästinensischen Stadtteil Sheikh Jarrah um den mir sehr bekannten Buchladen von dem in den letzten Wochen wegen der Inhaftierung der Inhaber häufig berichtet wurde, eben Besuch abzustatten. Am 10. Februar berichtete Haaretz, die linke israelische Zeitung: „Die 1984 eröffnete Buchhandlung „Educational Bookshop“ ist die bekannteste Buchhandlung in Ostjerusalem. Sie hat sich auf arabische und englische Bücher über den israelisch-palästinensischen Konflikt und die Geschichte Jerusalems spezialisiert und ist zu einem seltenen und symbolträchtigen Treffpunkt für Forscher, Diplomaten, Journalisten und Touristen aus allen Lagern geworden. Die Besitzer präsentieren sie stolz als einen Ort, an dem sich Palästinenser und Israelis treffen und miteinander reden können: „Ein Raum für alle. Wir haben Platz für die Meinung eines jeden, und wir sind nicht immer einer Meinung, aber wir können darüber reden.“

In der Buchhandlung kann man in Bücher über die palästinensische Identität und Kultur blättern, von Musik über Essen bis hin zur Geschichte des Landes – erfuhr etwas über das bestgehütete Geheimnis in der jüdischen israelischen Gesellschaft: die Nakba, die palästinensische Perspektive auf den Krieg von 1948, dessen Auswirkungen der Vertreibung bis heute in vollem Umfang zu spüren sind. Murad, der Bruder des Ladenbesitzers, der auch dort arbeitet, berichtete Haaretz, dass die israelische Polizei in Begleitung eines Shin-Bet-Beamten Bücher und Postkarten auf dem Boden verstreut zurückließ und sie – zusammen mit einer Ausgabe der Sonntagszeitung Haaretz, die eine Schlagzeile über die Geiselbefreiung vom Vortag enthielt – als Anstiftung zum Terrorismus bezeichnete.
Der Laden wurde zunächst geschlossen, der Besitzer für 2 Nächte inhaftiert. Es gab große Proteste auch der deutsche Botschafter in Israel, Siebert hat über X seine Kritik geäußert. Die Haaretz beschließt ihren beitragt: Der Krieg Israels richtet sich nun nicht mehr nur gegen das palästinensische Volk, sondern auch gegen die palästinensische Kultur. Das jüdische Volk, das eine schmerzliche Geschichte als Ziel von Angriffen auf Bücher und ethnische Säuberungen hat, hat nun ähnliche Gefühle in einer Gesellschaft, in der die Erinnerung an den Holocaust auch Generationen später noch grundlegend ist, vollständig normalisiert. Jüngsten Umfragen zufolge unterstützen fast 70 Prozent der Israelis den Plan von US-Präsident Donald Trump, die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens zu vertreiben.

eine kleine Auswahl des Buch- und Schriftenangebots im Buchshop
Der Tag geht nun zu Ende, die Medien sprechen von bis zu 400 Toten im Gazastreifen. Hier in Westjerusalem wo ich heute nach den Gesprächen unterwegs war, war davon nichts zu spüren. Viele saßen in den Straßencafes und ließen es sich scheinbar wohl ergehen. Für mich eine ziemlich schwer auszuhaltende Situation
Tageszitat aus „Recht ströme wie Wasser“
Haben wir nicht alle einen Vater?
Hat uns nicht ein Gott geschaffen?
Warum verachten wir denn einer den anderen,
und entweihen den Bund unserer Väter? (Mal. 2,10)
Lieber Marius
zu deinem Tageszitat: Ich wurde nicht von Gott erschaffen, sondern von meiner Mutter mit Hilfe meines Vaters. Und meine Kinder wurden von mir erschaffen mit Hilfe meines Mannes. Die Kinder fallen nicht göttlich vom Himmel. Das heißt nicht, dass nicht alle Menschen gleichwertig sein sollten.
Take care Monika