Völkerrechtswidrig: Israel steckt palästinensische Kinder und Jugendliche ins Gefängnis. Ein Gespräch mit Gerard Horton

Rolf-Henning Hintze

Der Australier Gerard Horton ist Rechtsanwalt, er arbeitet für die Nichtregierungsorganisation »Military Court Watch«

Jährlich werden bis zu 700 palästinensische Kinder aus dem Westjordanland vor israelische Militärgerichte gestellt. Wie alt sind die Kinder, und wie viele von ihnen werden zu Gefängnisstrafen verurteilt?

2013 wurden nach Angaben der Militärbehörden 1.004 Kinder und Jugendliche im Westjordanland festgenommen, einige wurden ohne Anklage freigelassen. Die Rechtsprechung der Militärgerichte beginnt für palästinensische Kinder ab zwölf Jahren, die Mehrheit der Angeklagten ist zwischen 15 und 17 Jahre alt. Die Verurteilungsrate beträgt nach Militärangaben 99 Prozent, die meisten dieser Kinder erhalten Gefängnisstrafen.

Wie sehen die Bedingungen in den Gefängnissen aus? Tragen viele Kinder Traumata davon?

Am stärksten traumatisierend sind meist die Festnahme, der Transport und das Verhör in den ersten 24 Stunden nach der Festnahme. Das Kind wird aggressiv festgenommen, oft in der Nacht; ihm werden schmerzhaft die Hände zusammengeschnürt und die Augen verbunden. Es ist ferner körperlichen und verbalen Angriffen ausgesetzt. Über seine legalen Rechte wird es nicht richtig informiert.

Wenn Kinder oder Jugendliche einmal dem israelischen Gefängnisdienst überstellt sind, beziehen sich die meisten Beschwerden darauf, dass sie nur selten oder oft auch gar nicht von Familienangehörigen besucht werden dürfen. Dazu kommen Klagen über unappetitliches Essen, begrenzte Bildungsmöglichkeiten und Langeweile. Viele kehren später mit posttraumatischen Störungen nach Hause zurück.

Die Kinder und Jugendlichen werden häufig mitten in der Nacht festgenommen. Welche Art Misshandlungen sind Ihnen bekannt?

44 Prozent der Festnahmen palästinensischer Kinder des Westjordanlandes erfolgen mitten in der Nacht. Sie werden nicht nur gefesselt, sondern auch oft geschlagen oder getreten. Verbale Misshandlungen sind vielfach gegen die Mutter gerichtet, wie: »Deine Mutter ist eine Hure.« Dazu gehören auch die Androhung körperlicher Gewalt oder verlängerter Untersuchungshaft, die Verweigerung von Wasser, Nahrung sowie Schlafentzug. Ein 16jähriger sagte aus, er sei am 1. Dezember 2014 während eines Verhörs in der Siedlung Etzion mit Elektroschocks gefoltert worden.

Was haben die Festgenommenen denn getan? Oder sind viele von ihnen gar unschuldig?

Wegen der fehlenden Fairness der Verfahren ist die Mehrzahl der Verurteilungen als unbegründet einzuschätzen. Es ist schwer, mit Bestimmtheit zu sagen, wer unschuldig und wer schuldig sein könnte. Offensichtlich ist aber, dass viele Kinder, die zunächst sagten, sie seien unschuldig, später dann doch Geständnisse unterschreiben. Das hängt mit dem körperlichen und mentalen Druck auf sie zusammen.

Wenn ein Jugendlicher unschuldig ist, kann es ihm günstiger scheinen, dennoch zu gestehen, Steine geworfen zu haben, und dafür zwei oder drei Monate ins Gefängnis zu gehen. Denn wenn er auf seiner Unschuld besteht, kann es gut sein, dass er in Haft bleibt, bis das Verfahren endgültig vor das Militärgericht kommt, und das dauert gewöhnlich vier bis sechs Monate. Eine Freilassung auf Kaution wird in den meisten Fällen verweigert. Ob unschuldig oder schuldig, der schnellste Weg aus dem Knast heraus ist oft, eine Schuld einzugestehen.

Kinder in Gefängnissen eines fremden Landes einzusperren, stellt eine Verletzung der 4. Genfer Konvention dar. Sind Proteste dagegen von Regierungen oder Nichtregierungsorganisationen bekannt?

Nach jüngsten Angaben der israelischen Gefängnisbehörde wurden 90 Prozent der erwachsenen palästinensischen Häftlinge und 48 Prozent der jugendlichen Häftlinge vom Westjordanland in Gefängnisse in Israel gebracht. Das ist in der Tat ein Bruch des Artikels 76 der 4. Genfer Konvention. Die britische und die niederländische Regierung haben das im Oktober 2014 gegenüber israelischen Offiziellen zur Sprache gebracht. Auch UNICEF hat sich unter Berufung auf das Völkerrecht dafür eingesetzt, dass keine palästinensischen Häftlinge in Gefängnissen in Israel gehalten werden dürfen.

http://www.militarycourtwatch.org

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