Gestern habe ich noch einmal die „Seiten gewechselt“, bin vom Gästehaus der Talitha-Kumi-Schule – wo ich die letzten 10 Tage verbracht habe – und das oberhalb von Beit Jala im Westjordanland gelegen ist, in das Gästehaus der Dormitio-Abtei umgezogen. Es ist wirklich eine gänzlich andere Welt in die man kommt, wenn man nach Westjerusalem kommt. Anderer Baustil, größere und bessere Straßen, alles geordneter, mehr Ampel, und die größere Sauberkeit fallen einem gleich ins Auge, obwohl die tatsächliche Wegstrecke nur 10 km beträgt.
Am Tag zuvor hatte ich noch einmal die Gelegenheit mir die – für Außenstehende nicht so leicht verständliche – Situation im Cremisan-Tal genauer anzuschauen.
Am frühen Abend bin ich mit Anja, Emad, Karim und mit Fatima im Cremisan-Tal gewandert. Wir wollten uns am Ende eines schönen Frühlingstages, in „der grünen Lunge“ von Beit Jala, noch ein wenig „die Beine vertreten“. Möglicherweise wird man dies bald nicht mehr, von palästinensischer Seite aus können. Wir haben unser Fahrzeug auf dem Gelände des Salesianer-Klosters abgestellt. Der Zugang ist zwar durch ein Tor gesperrt, dort sitzt aber bis zum Abend ein ziviler (palästinensischer) Wachdienst, der gerne die Pforte für Besucher öffnet. Auf dem Klostergelände feierte gerade, in dem wunderschönen Klostergarten, eine muslimische Hochzeitsgesellschaft. Die Bewohner von Beit Jala haben die Möglichkeit diesen schönen Platz für Feste zu mieten. Auch dies würde bei „Vollendung“ der Mauer nicht mehr möglich sein. Wir sind der schmalen Straße weiter Richtung Westen gefolgt. Früher war dies die Verbindungsstraße zwischen den beiden palästinensischen Dörfer Beit Jala und Walaja (sie sind etwa 4 Km voneinander entfernt). Seit einiger Zeit ist die Straße ca. 1 km vom Kloster in westlicher Richtung entfernt abgeriegelt. Hintergrund ist, dass sich dort eine der zwei Zufahrten zur israelischen Siedlung Har Gilo befindet. Zwischen den Siedlungen Gilo im Norden und Har Gilo im Süden befindet sich das schöne Cremisan-Tal.
In östlich Richtung vom Kloster aus gesehen, wird derzeit die Schließung vorbereitet, ich habe davon vor einigen Tagen berichtet. Dann wäre also das ganze Tal abgeschlossen. Dort also, wo die Muslime Familie Hochzeit feierte, und wir unseren Abendspaziergang machten wird man sich – setzt sich die israelische Militärverwaltung beim obersten israelischen Gericht durch – als Palästinenser nicht mehr aufhalten dürfen. Ein Zugang ist dann nur noch von der israelischen Seite aus „erlaubt“
Was für ein „Kleinod“ dieses Tal ist, durften wir an diesem schönen Abend noch einmal erleben. Die Landschaft hat etwas von der italienischen Toskana. Selbst einige Papierkörbe sind dort aufgestellt, was aber leider nicht jeden Besucher veranlasst diese zu benutzen.
Man kommt dort an den gepflegten, in „Reih und Glied“ stehenden Rebstöcken und der Kelterei des Weingutes Cremisan vorbei.
Nach etwa 1 ½ Kilometer kamen wir tatsächlich an die Straßensperre. Oberhalb des Roadblocks führte eine ziemlich neue Straße den Berg zur Siedlung Har Gilo hinauf. Direkt hinter der Straßensperre steht ein Haus, in 100 m Entfernung sieht man die ersten Häuser des Dorfes Walaja.
Wir konnten uns, dank der arabisch sprechenden Emad und Fatima, mit dem palästinensischen Besitzer des Hauses unterhalten. Seine Familie hat hier 1948 das Haus gebaut, nachdem
sie aus Alt-Walaja vertrieben worden waren. Auf dem Gebiet des ehemaligen palästinensischen Dorfes Alt-Walaja, auf der anderen Talseite gelegen, wurde die große israelische Siedlung Gilo gebaut. Vor einigen Jahren hätten die Israelis ihm und seiner Familie wohl angeboten, die israelischen Staatsbürgerschaft zu geben. Nach intensiver Überlegung und Beratung hat er das Angebot abgelehnt. Er hat befürchtet, dass ihm, als israelischen Staatsbürger, dann leichter das Grundstück, nebst Haus entzogen hätte werden können.
So lebt er nun mit seiner Familie, in diesem „Außenposten“ des Westjordanlandes mit Blick auf die alte Bahnlinie, die Jerusalem mit Tel Aviv verbindet. Damit sie auch weiterhin ihr Dorf Walaja erreichen können, haben die Israelis extra einen Tunnel gebaut, der unter der Siedlerstraße hindurch führt. Während früher der Weg zum Kindergarten und Schule in Beit Jala über die kurze Strecke durchs Cremisan-Tal am Kloster vorbei führte, müssen sie heute einen großen Umweg von mehr als 10 km über Walaja nehmen.
Ich finde, dies ist ein kleines, aber doch bemerkenswertes Beispiel der Auswirkungen, der israelischen Siedlungspolitik auf die Bewohner in den besetzten Gebieten.
Vor einigen Wochen gab es im Spiegel einen Beitrag von Eva Menasse. Unter dem Titel „Hundert Kinder“ berichtete Sie in einer Erzählung über die „Grüne Linie“ zwischen Israel und Palästina und dabei eben auch über das Dorf Walaja und die Siedlung Har Gilo. Die Autorin hatte sich von ihren amerikanischen Kollegen Michael Chabon und Ayelet Waldman inspirieren lassen. Diese hatten darum gebeten, Essays und Kurzgeschichten über die besetzten Gebiete zu verfassen.
Es lohnt sich wirklich, diesen unter die Haut gehenden Beitrag zu lesen.
Ich habe diesen Beitrag als Gastbeitrag bei mir eingestellt.
Liebe Marius, mit Deiner Beschreibungen kann ich sehr gut das Klima in dem Teil des Landes nachempfinden. Einerseits die wunderbare Landschaft und anderseits die Bedrohung der Siedlung, das Verbot die schöne Gegend weiterhin nutzen und genießen zu können mit den fatalen Folgen für die Menschen die dort leben. Ich werde immer wütend wegen diese Ungerechtigkeit, bin jedoch dankbar, dass Menschen wie Du sich auf diese Weise engagieren, damit Menschen in Deutschland über diese Zustände informiert werden.
Herzlichen Dank,
Hanja