Nun war ich wieder – zum 4. Mal in zwei Jahren- dieses mal für 21 Tage in Palästina. Am Montagabend bin ich wohlbehalten wieder in Düsseldorf gelandet. Wie immer nach meinen Aufenthalten in Palästina komme ich voller erfüllender, teils aber auch verstörender und zwiespältigen Eindrücke zurück. In den letzten Tagen hatte ich ein wenig Zeit meine Gedanken über das dort Erlebte zu sortieren, mich an wichtige Ereignisse und Begegnungen zu erinnern. Nachfolgen ein kurzes Resümee mit einem Blick nach vorne.
Ein- und Ausreise am Flughafen in Tel Aviv
Im Gegensatz zu meinen früheren Reisen, aber besonders im Unterschied zu den in meinem Bog vom 27.4. geschilderten Zuständen bei der Einreise von Jordanien, gestaltete sich sowohl die „Einlass“-Kontrolle, wie auch die Abfertigung bei der Ausreise am Flughafen völlig problemlos. Ich hatte ja schon nach meiner Einreise geschrieben, dass die Formalitäten nicht eine Minute dauerten, so war auch die Ausreise fast völlig „normal“, ohne konkrete Fragen nach meinem Aufenthaltsort oder Kontakten. Es wurde lediglich gefragt von wem der Koffer gepackt wurde und ob ich immer dabei gewesen sei. Keine Durchleuchtung, kein Öffnen und Durchsuchen meines Koffers. Aber wie so vieles hier, kann es Zufall sein oder es gibt andere Methoden. So war die Kontrolle bei der einfahrt auf das Flughafengelände mit einem Ostjerusalemer Taxi (und palästinensischen Fahrer)wesentlich aufwendiger. Auch wurde vor einigen Wochen noch ein italienischer Staatsbürger wieder in ein Flugzeug nach Italien gesetzt, weil er bei der Befragung an der Passkontrolle nicht ausdrücklich gesagt hatte, dass er ins Westjordanland auf Daher`s Weinberg will.
Behinderte haben es überall auf der Welt schwer – aber vor allem in Palästina
Durch meine Kontakte mit Fatima habe ich –wie schon bei meinen ersten Kontakten in 2013– auch dieses mal wieder die Möglichkeit gehabt, etwas mehr Einblick in die Situation der behinderten Menschen in Palästina bekommen.
Da ist zunächst die Erkenntnis, dass die Zahl der Menschen mit Behinderung, anteilmäßig an der Gesamtbevölkerung, mit Sicherheit weitaus größer ist als bei uns. Dies ist vor allem damit begründet, dass in Palästina die Menschen häufig innerhalb der Familie heiraten. Eine Heirat von Cousin und Cousine ist nicht selten. Das hat zur Folge das die „Gefahr“ Kinder mit Behinderung zu gebären wesentlich größer ist. Demgegenüber ist die Unterstützung für diese Menschen in palästina nicht weit ausgeprägt. Es gilt vielfach als schande, oftmals werden Menschen mit Behinderung noch versteckt. Wenn die Familie keine eigenen Einkünfte hat gibt die palästinensische Autonomiebehörde für 3 Monate 700,- Schekel (etwa 150 €). Alle sonstigen Hilfen, z.B. Rollstühle Therapien oder auch die Kosten für notwendige Operationen werden ausschließlich von ausländischen Organisationen wie zum Beispiel die Deutsche Behinderten Not-Hilfe (www.behinderten-nothilfe.org) für die auch Fatima seit Jahren hier in Palästina arbeitet, zur Verfügung gestellt. Nach der Einschätzung von Fatima ist in der palästinensischen Gesellschaft derzeit kein großer „Umdenkungsprozess“ bezüglich der „Heiratstraditionen“ erkennbar, obwohl es vielen Menschen klar ist, dass es da Zusammenhänge mit der großen Zahl der behinderten Menschen gibt.
Alltag unter Besatzung
Immer wieder gibt es im Alltag Berührungen mit der Besatzungsmacht Israel. Sei es am Checkpoint oder bei überraschenden Straßenkontrollen. Dabei erlebe ich die Reaktion der Palästinenser/innen meist erstaunlich zurückhaltend, ja manchmal wirkt ihre Mimik verschlossen bis geradezu „ergeben“. Aber die Anspannung die bei allen vorhanden ist, man kann sie geradezu spüren. Es gibt keine lockeren Gespräche im Bus, keiner Lachen ist zu hören. Wenn der Bus nach der Passage am Checkpoint dann wieder los fährt ist allenthalben Erleichterung zu spüren. Für mich ist die Begegnung mit den jungen Wachsoldaten, die lässig eine Maschinengewehr über die Schulter tragen, auch mit großer Anspannung verbunden, aber eher der Art, dass ich mich auf Prostest einstelle, mir nichts gefallen lassen will. Auch ist es für mich trotz vieler solcher Begegnungen immer noch ein mehr als unangenehmes Gefühl so unmittelbar mit einer Waffe konfrontiert zu sein, die mich oder andere durch einen leichten Fingerzug verletzen ja töten könnte.
Palästina landschaftlich schön und Gastfreundlich – aber auch laut und schmutzig
Immer wieder habe ich in meinen Blogberichten auch von den wunderschönen Landschaften in Palästina und der beeindruckenden Gastfreundschaft erzählt die Palästina so liebenswert und einzigartig macht. Gerade jetzt in der Frühlingszeit, wenn selbst die so scheinbar trockene judäische Wüste mit einem „grünen Flaum“ überzogen ist, wenn die Blütenpracht überall scheinbar wild und ungebremst die Landschaft verschönert, kann das schwere Los der Besatzung schon mal in den Hintergrund treten.
Aber es gibt auch die andere Seite, für mich eher „unangenehme“ Seite Palästinas. Das Land ist geplagt von Lärm und Schmutz. Vor allem in den Städten herrscht ein derartiger Lärmpegel, hervorgerufen vor allem durch den unglaublichen – auf mich oft „aggressiv“ wirkenden Autoverkehr- aber auch durch die Menschen (Männer) selbst fallen auf durch eine oft lautstarke Kommunikation. Wenn ich im Zusammenhang mit den Reaktionen der Palästinenser/innen bei den Kontrollen von einer eher zurückhaltenden, scheinbar demütigenden Haltung geschrieben habe, so kann man den Eindruck gewinnen, das die dort unterdrückte Aggression an andere Stelle „freigesetzt“ wird/werden muss.
Das Land erstickt im Müll. Es gibt nur wenig konkrete Bemühungen von Seiten der Verwaltung der Städte und gemeinden zur Beseitigung oder Vermeidung des überall herumliegenden Abfalls. Die scheinbare Gedankenlosigkeit der Menschen hier gegenüber Erhaltung der Umwelt ist für mich als Besucher und Freund dieser Menschen oft schwer auszuhalten. Erste Projekte wie das des Vereins „Friends oft he Earth Middle East“ bei Jericho, von dem ich vor einigen Tagen berichtete, die u.a. sich in Schulen um Einführung des Umweltgedankens bemühen, oder den Plan von Daoud Nassar, auf seinem Weinberg regelmäßig Schüler einzuladen, die durch konkretes Tun den Umgang mit und die Erhaltung von Natur erlernen sollen, sind kleine und unterstützenswerte „Pflänzchen der Hoffnung“.
Literatur-Tipp
Andreas Altmann: Verdammtes Land – Eine Reise durch Palästina
303 Seiten, 19,90 € erschienen im Piber-Verlag München 2014
Kurz vor meiner diesjährigen Reise nach Palästina hat mir ein Bekannter das gerade erschiene Buch von Andreas Altmann empfohlen. Ich habe es mir gleich gekauft, weil mich allein der Titel des Buches neugierig gemacht hat. Ich muss sagen, das Buch hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Da ist vor allem die frische, ja unverbrauchte Sprache des Autors, die manchmal geradezu frech daher kommt. Er nimmt dabei auch keine Rücksicht auf eventuell Empfindsamkeiten seiner Leser/innen bei sexuellen oder religiösen Themen. Natürlich ist es etwas Besonderes ein solches Buch dort in dem Land zu lesen, über das der Autor schreibt. Altmann bereist Städte und Dörfer in denen ich auch schon war, und über die ich in meinem Blog berichtet habe. Er hat verschiedene Projekte besucht, hat mit Vertretern aller drei Religionen gesprochen, mit Friedensaktivisten und Freiheitskämpfern. Immer versucht er bei seinen Gesprächen zu verstehen was die Menschen bewegt, woher ihr Hass kommt oder ihre Motivation sich für Frieden und Aussöhnung einzusetzen. Auf dem Einband des Buches beschreibt Andreas Altmann seine Motivation für diese Reportage: „Ich will über Palästina nichts als Geschichten erzählen, weil mich jede Illusion – die Antwort zu finden – längst verlassen hat. So schreibt ich Geschichten von den einen die andere quälen und erniedrigen, und den anderen, die gequält und erniedrigt werden. Und Geschichten von Heldinnen und Helden, die es zäh und beherzt mit ihrer Wirklichkeit aufnehmen“
http://www.piper.de/buecher/verdammtes-land-isbn-978-3-492-05624-3
Wie wird es weiter gehen
Immer wenn ich aus Palästina zurückkehre stellt sich für mich die beklemmende aber auch so notwendige Frage, wir wird es weitergehen in diesem Konflikt, mit Palästina. Diese Frage ist gerade auch vor dem aktuellen Hintergrund der (mal) wieder gescheiterten Gespräche zwischen Israel und Palästina mehr als berechtigt.
Da bleibt zu hoffen, dass zu mindestens die Versöhnungsabsichten der Palästinenser, zwischen der Fatah und der Hamas, wirklich dauerhaft realisiert werden können und die Vorschläge der israelischen Siedlerpartei auf „Annexion“ von 60 % des Westjordanlandes durch Israel nur politisches „Säbelrasseln“ bleibt. Es gilt die vielen Menschen und Gruppen zu unterstützen, die sich in Israel und Palästina die Gedanken von Frieden und Aussöhnung auf ihre Fahne geschrieben haben.
Ich hatte einen Tag vor meiner Abreise mal wieder das große Vergnügen mit Reuven Moskovitz einen solchen friedliebenden Menschen zu treffen, der seit mehr als 60 Jahren in Israel, aber auch bei seinen vielen Vortragsreisen in Deutschland dazu aufruft, sich für ein friedliches Miteinander der Menschen im heiligen Land einzusetzen. Auch wenn Reuven vor dem Hintergrund seines lebenslangen tatkräftigen Bemühens für Frieden und Aussöhnung zwischen dem jüdischen und palästinensischen Volkes konfrontiert mit der aktuellen politischen Realität desillusioniert – ja ohne Hoffnung erscheint, sagt der fünfundachtzigjährige (!) mir zum Schluss unseres Gespräches mit starker Stimme:
„Ich werde mich bis zu meinem letzten Atemzug hier weiter für Frieden und Versöhnung einsetzen“
Vor dem Hintergrund dieser gewichtigen und für mich verpflichtenden Worte von Reuven Moskovitz, möchte ich verbunden mit dem Dank an alle interessierten Leser/innen meines Blog und dem Hinweis das die nächste Reise nach Palästina, über die ich wieder in diesem Blog berichten werde, im Oktober diesen Jahres starten wird, um Unterstützung einer Aktion des zivilen Friedensdienstes bitten auf die ich nachfolgen hinweisen möchte.
Schalom und Salam Ihr/Euer Marius
Das Forum Ziviler Friedensdienst startet die Aktion „Friedensband“.
Die Aktion ist verbunden mit einem „Appell für Friedenspolitik statt Militäreinsätze“.
„Ich widerspreche einer Politik, die militärische Einsätze Deutschlands verstärken will. Deutschland muss stattdessen eine aktive Friedenspolitik entwickeln und endlich eine Vorreiterrolle beim Ausbau ziviliver Konfliktbearbeitung übernehmen.“
Denn: für Bundeswehreinsätze wurden seit 1999 ausgegeben: 32,5 Mrd. €. Dagegen wurden in den Zivilen Friedensdienst investiert: 0,25 Mrd. €.
Zur Aktion „Friedensband“ ist auch Deine Stimme wichtig und Deine Unterschrift gefragt. Denn, am 6. Sept. 2014 wollen wir in Berlin – das bekannteste Denkmal militärischer Politik – die Siegesäule – mit dem Kanzleramt verbinden.
Postkarten, Aktionsmaterial und die Unterzeichnung des Appells für Friedenspolitik sind ab sofort auf unserer Aktionsseite – http://www.bevor-es-zu-spät-ist.de – bzw. in der Geschäftsstelle Forum Ziviler Friedensdienst e.V., Am Kölner Brett 8, 50825 Köln erhältlich.
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