Zur falschen Zeit am falschen Ort

 Seit gestern nun bin ich zu Gast in der Benediktinerabtei Dormitio die am Rande des Jerusalemer Altstadt auf dem Zionsberg steht. Bereits im Frühjahr des vergangenen Jahres war ich nach Wochen der Arbeit auf „Daher`s Weinberg“ bei Bethlehem, ebenfalls für die letzte Woche meines Aufenthaltes hier zu Gast. (Siehe hierzu auch meinen Blog vom Frühjahr 2012 und die Texte in der Kopfzeile meines Blogs:Dormitio-Abtei und Friedensgebete) Ich kann hier nach erlebnisreichen und auch anstrengenden Wochen besonders gut  zur Ruhe kommen und inne halten.

die Benediktiner Abtei Dormitio auf dem Zionsberg

Auch in Deutschland habe ich seit mehr als 20 Jahren immer mal wieder die klösterliche Stille gesucht, um durch die Ruhe die ich dort finde, in Verbindung mit den für mich wohltuenden Gebetsstunden, ausruhen aber auch auf zu tanken für den Alltag. Hier ist die Situation sicherlich eine etwas andere als in Deutschland wie zum Beispiel in Meschede oder Münsterschwarzach. Bedingt durch die Umgebung „zwischen den verschiedenen Welten“ wie es einmal ein Pater von hier gesagt hat, kommt man doch mehr als in den eher abgeschiedenen Orten in Deutschland mit der realen Wirklichkeit zu tun…wenn man die Klostermauern verlässt.

So wie ich es heute Mittag getan habe… um ein wenig von der Stimmung zu erspüren die am nahe gelegenen Tempelplatz herrscht,

die Gläubigen eilen zum Gebet

wenn dort mehrere tausend Muslime aus Jerusalem aber auch aus den umliegenden Dörfern und Städten in Palästina (wenn sie eine Ausreiseerlaubnis bekommen haben)in und vor der AlAqsa-Moschee zum traditionellen Freitagsgebet erscheinen. Als Christ darf man nicht auf den tempelplatz aber auch vor den Eingangstoren bekommt man die besondere Stimmung die dort herrscht gut mit. Während der Iman schon länger seine „politische“ Predigt hält strömen noch immer viele dem Tempelplatz zu. Vor dem Eingang haben sich schon viele Händler bereitgestellt um nach dem Gebet die verschiedensten Waren zu verkaufen. Nach der Predigt stellen sich alle, auch die Händler, in Reihe zum Gebet auf , knien wenn es angesagt ist auf dem mitgebrachten Gebetsteppich (es kann aber auch ein  Stück Karton sein)und antworten hier und da mit tausendfacher Stimme verstärkt dem Iman.

Nach dem Gebet: es darf gekauft werden..

Dann nach nicht mehr als 10 Minuten ist das Gebet zu Ende, die Massen strömen vom Tempelplatz und die Händler beginnen lautstark ihre Waren anzupreisen. Alles scheint friedlich, feiertäglich.
Auf einmal bemerke ich einige Soldaten (es können auch Polizisten gewesen sein) die in der Menge der davon strebenden Beter augenscheinlich einen Jungen festhalten (er mag so 10-12 Jahre alt sein)  Die Menschenmasse stoppt, schnell hat sich ein Kreis

Zwischenfall nach dem Freitagsgebet

um die etwa sechs Polzisten gebildet, es gibt erregte Stimmen, von hinten wird geschubst, erst Gegenstände werden geworfen, die Stimmung scheint zu explodieren. Die Soldaten schauen teilweise ängstlich, ein er schießt wohl eine Tränengaspatrone ab,, die aber scheinbar in „den eigenen Reihen“ explodiert, man zieht sich in den Eingangsbereich eines nahegelegen Laden zurück, ein Palästinenser hebt ein schweres Absperrgitter und wirft es den Soldaten vor die Füße…die Menge skandiert  „Allah ist groß“. Es kommt ein wohl vorgesetzter Soldat und fordert die die Gruppe auf sich zurückzuziehen. Den Jungen hab e ich nicht mehr gesehen.
Zu Hause habe ich immer auf die Frage, ob ich keine Angst hätte wenn ich nach Israel und Palästina fahre, das es wohl Schicksal sei wenn ich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort wäre.

die Tränengaspatrone ging "nach hinten" los

Heute betraf diese Aussage nicht mich sondern die sechs Soldaten. Ich weiß nicht was sie sich dabei gedacht haben, an diesem Ort zu dieser Zeit eine solche Aktion durchzuführen. Was mag der Knabe gemacht haben: Oliven geworfen ich weiß es nicht, ich weiß nur das hier von einer auf die andere Sekunde sich der Frust eines sooft gequälten Volkes seine Bahn verschaffte. Dieses Mal ist es für die Palästinenser gut ausgegangen…die Soldaten waren noch lange damit beschäftigt das brennende Tränengas aus ihren Augen zu entfernen.

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

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