Heiko Maas erweist sich bei seinem Besuch in Israel als treuer Parteigänger des Zionismus
27. März 2018
„Wer Hitler abschütteln will, muss heute die Palästinenser verteidigen.“ Diesen Satz hat nicht ein böser deutscher Antisemit formuliert, sondern der deutsch-französische Jude Alfred Grosser, der als Kind mit seinen Eltern Deutschland verlassen musste, um der Mordmaschinerie der Nazis zu entkommen. Man möchte den neuen deutschen Außenminister fragen, wie er zu diesem Satz steht. Nach all den Äußerungen, die er in den vergangenen Tagen vor seiner Israel-Reise und im Land selbst getan hat, muss er Grossers Worte für blanken Antisemitismus halten.
Heiko Maas hat sich in den wenigen Wochen seiner Amtszeit als überzeugter (man kann auch sagen: blinder) Parteigänger Israels dargestellt. Es klingt so schön, wenn er immer wieder sagt, er sei wegen Auschwitz in die Politik gegangen. Der Holocaust bleibe Mahnung und Auftrag, weltweit für Menschenrechte und Toleranz einzutreten. Und dann fügt er hinzu: Die Freundschaft zwischen Deutschland und Israel sei ein großes Geschenk. Die Solidarität mit dem jüdischen Staat stehe im Zentrum der deutschen Außenpolitik. Es gehe darum, für die Sicherheit Israels einzutreten und den Antisemitismus zu bekämpfen.
Große Worte, die man auf ihren Realitätsgehalt hin hinterfragen muss. Und dann bleibt von Heiko Maas‘ blumiger Rhetorik nicht viel an Substanz übrig. Der renommierte jüdische Historiker Yakov Rabkin, ein Spezialist für die Geschichte des Judentums, kritisiert seit Jahren, dass die deutsche Politik und die meisten Deutschen aus ihren Schuldgefühlen heraus den Staat Israel in seiner politischen Realität bis heute gar nicht wahrgenommen hätten. Denn es bleibe die Frage, wie weit Israel die Juden und das Judentum repräsentiere, es gebe sehr viele jüdische Stimmen, die Israel genau diesen Anspruch bestritten. Und Rabkin konstatiert: „Wenn sich Deutschlands permanenter Kniefall vor dem Staat Israel aus dem Mythos speist, Israel repräsentiere die Juden in aller Welt und sei ihre natürliche Heimat, so muss das zu denken geben.“
Was Rabkin hier meint, muss man wohl so verstehen: Deutschland hat wegen der monströsen Verbrechen des „Dritten Reiches“ natürlich eine Verantwortung gegenüber Juden, es darf ihm aber auf Grund der schrecklichen Erbschaft des Hitler-Staates auch nicht das Recht abgesprochen werden, aktuelle Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen das Völkerrecht anzuprangern – auch wenn sie von einem Staat begangen werden, der sich „jüdisch“ nennt.
Die deutsche Israel-Politik hat sich dem zweiten Teil dieses Kriteriums nie gestellt, das heißt, sie hat die politische Realität Israels nie wirklich zur Kenntnis genommen, was ja nur heißen kann, dass es sich hier nicht in erster Linie um den Staat der Holocaust-Verfolgten handelt, sondern um einen äußerst aggressives siedlerkolonialistisches System, das seine Existenz auf der Herrschaft über ein anderes Volk begründet. Und weil Deutschland diese Realität nicht wahrnimmt und auch in seiner Politik nicht berücksichtigt, ist das deutsch-israelische Verhältnis so unaufrichtig, unredlich und letzten Endes zutiefst neurotisch.
Der deutsche Völkerrechtler Norman Paech beschreibt diese Beziehung denn auch als „vollkommen, verkrampft, erzwungen und verlogen – sie ist geradezu von mafiotischer Struktur. Wie anders kann man diese Beziehung werten, in der eine Partner mit dem Stiefel auf dem Nacken eines Volkes dessen Vertreibung aus der Heimat betreibt, ohne sich um die einfachsten Regeln des Völkerrechts zu kümmern – und der andere Staat ihm die Hand reicht, ohne zu versuchen, die angerichteten Schäden zu beheben? Das sind keine normalen Beziehungen, die sich allein aus den Verbrechen der Vergangenheit rechtfertigen lassen. Sie nehmen die wachsende Kriminalität der [israelischen] Staatsführung und ihre Isolierung in der Staatenwelt in Kauf. Normal werden diese Beziehungen erst dann, wenn es Frieden mit dem palästinensischen Volk gibt.“
Heiko Maas, das wird nach seinem Auftritt in Israel klar, ist dabei, diese unselige Tradition der deutschen Israel-Politik ohne Wenn und Aber fortzusetzen. Dass er damit einer möglichen Friedenslösung einen Bärendienst erweist, versteht sich von selbst. Denn eine rückhaltlose Unterstützung des zionistischen Siedlerstaates, wie Maas sie ankündigt, stabilisiert und festigt – allem Gerede von der Zwei-Staaten-Lösung zum Trotz – das Besatzungssystem und die Unterdrückung der Palästinenser. Und wenn Maas Angela Merkels Satz von der Priorität der „Sicherheit“ Israels als deutsche Staatsräson wiederholt, so begibt er sich vollends auf politisches und auch militärisches Glatteis. Denn wenn die deutsche Außenpolitik sich vollständig Israels Interessen unterwirft (einem Staat, der sich auch 70 Jahre nach seiner Gründung in einem permanenten Kriegszustand mit seinen Nachbarn befindet), ist das ein äußerst riskantes Unternehmen, das Deutschland in gefährliche Abenteuer hineinziehen kann. Man kann auch sagen: Eine solche deutsche Politik ist völlig verantwortungslos!
Heiko Maas erweist sich also als ein treuer Erfüllungsgehilfe einer solchen unberechenbaren und aggressiven israelischen Politik. Dass die Israelis eine solche Kniefall-Politik nicht einmal honorieren, machte eine ganz undiplomatische Äußerung der Sprecherin der israelischen Botschaft in Berlin, Adi Farjon, deutlich. Sie erklärte im Juli 2015, dass es im Interesse Israels liege, die deutschen Schuldgefühle wegen des Holocaust aufrechtzuerhalten und dass Israel deswegen keine völlige Normalisierung der Beziehungen anstrebe. Allein diese Äußerung straft die ständigen Bekundungen der Bundesregierung – und jetzt auch von Heiko Maas – Lügen, wie hervorragend und ungetrübt die Beziehungen seien.
Die Äußerung der Botschaftssprecherin belegt aber auch, wie sehr Israel den Holocaust für seine politischen Zwecke instrumentalisiert. Was Heiko Maas gar nicht gefallen kann, zieht er doch (wie oben erwähnt) die Schlussfolgerung aus dem Holocaust, weltweit für Menschenrechte und Toleranz einzutreten – ohne in diesem Zusammenhang freilich die Palästinenser zu erwähnen, was seinem Bekenntnis deshalb schon jeden Wert nimmt. Die israelische Politik hat aus dem Holocaust nie universelle Konsequenzen gezogen (dass so etwas niemandem auf der Welt noch einmal geschehen dürfe), sondern immer nur nationalistische Folgerungen aus dem Holocaust betont (dass Juden so etwas niemals mehr passieren dürfe). Dass Israel mit dem Holocaust-Argument auch den Landraub und seine anderen Verbrechen gegen die Palästinenser rechtfertigt („Wir haben den Holocaust durchgemacht, uns ist alles erlaubt!“), belegt, dass man eigentlich auch in puncto Holocaust mit Israel nicht übereinstimmen kann.
Wenn Maas sein Engagement für Israel mit dem Holocaust begründet, kommen zwei weitere Argumente hinzu, die der deutsche Außenminister bedenken müsste: Der israelische Staat hat immer ein sehr gespaltenes Verhältnis zu diesem Mega-Verbrechen gehabt, was mit seiner Verachtung für das Diaspora-Judentum zu tun hat, das als „devot“ und „feige“ eingeschätzt wurde. In Israel galt das Ideal des „tatkräftigen, starken und wehrhaften neuen Juden“. Auf die Holocaust-Überlebenden hat man deshalb eher verächtlich herabgeschaut, weil sie sich „wie die Lämmer haben zur Schlachtbank führen lassen.“ Und das zweite Argument: Der Konflikt zwischen Israelis und den Palästinensern ist nicht – wie er heute so oft falsch dargestellt wird – die Fortsetzung der jüdischen Verfolgungsgeschichte bis zum Holocaust (Stichwort: „Antisemitismus“), sondern ein siedlerkolonialistischer Konflikt ganz eigener Art. Aber auch Tatsachen wie diese dürften am Weltbild des überzeugten Israel-Anhängers Heiko Maas sicher nichts ändern.
So ist auch seine „Freundschaft“ zur israelischen Justizministerin Ayelet Shaked nicht zu erschüttern, die symbolhaft für das verquere deutsch-israelische Verhältnis steht. Diese Frau bekennt offen, dass die Politik des Zionismus (der israelischen Staatsideologie) nichts mit Menschenrechten und Völkerrecht zu tun habe, der Zionismus habe seine eigenen Gesetze. Und die auf ihrer Webseite über die Palästinenser bekannte: „Sie sind feindseige Kämpfer gegen uns, und sie werden dafür bluten. Dazu zählen auch die Mütter der Märtyrer. Sie müssen verschwinden und ebenso die Häuser, in denen sie die Schlangen großziehen.“ Ein eindeutiger Aufruf zum Mord!
Sind das die gemeinsamen Werte – Menschenrechte und Toleranz, für die Heiko Maas immer wieder gelobt einzutreten? Der neue Außenminister hängt wie die gesamte bisherige deutsche Israel-Politik einem idealistischen Wunschbild von diesem Staat an, das mit der Realität nicht viel zu tun hat. Aber man hofft, durch das Auftreten im Büßerhemd die Vergebung der deutschen Schuld zu erlangen – und sieht dabei gar nicht, dass man durch sein Schweigen und eine grundfalsche Politik furchtbare neue Schuld auf sich lädt.