Am 03. Oktober 2018 reist die taz-Reisegruppe wie x-mal zuvor nach Israel ein. Die Mitglieder der Gruppe sind angehalten, einzeln die Passkontrolle zu passieren. Sie sollen angeben, dass sie nach Jerusalem, Bethlehem oder Jericho reisen, bei weiteren Fragen sollen sie nicht lügen, sondern bei der Wahrheit bleiben. Die Gruppe reist in die palästinensischen Gebiete unter Besatzung, was von Israel mit Argwohn und Misstrauen beobachtet wird. Verzögerungen bei der Einreise sind also einkalkuliert.
Die Gruppe trifft sich nach Passieren von Passkontrolle und Zoll in der Ankunftshalle, wo ein Fahrer mit einem Namensschild (taz-Reise/ATG) bereits wartet. Nach einer guten Stunde haben sich die meisten Mitglieder am vorgesehenen Ort eingefunden. Auch die beiden Schweizer, die bereits zuvor eingetroffen waren, haben zur Gruppe gefunden. Zwei Frauen werden noch erwartet. Da das Warten ziemlich ergebnislos bleibt, versuche ich Kontakt aufzunehmen. Von Yolanta kommt schließlich eine sms, dass ein Mitglied der Gruppe zum Verhör gebracht worden sei. Sie selbst warte auf die Mitreisende. Auch ihr sei dann irgendwann der Pass abgenommen worden, obwohl sie bereits über den Einreisezettel verfügte. Ich schicke schließlich die anderen Reisenden mit dem Busfahrer zum Bus und warte alleine. Doch niemand kommt. Es ist klar, dass etwas vorgefallen sein muss, womit wir nicht gerechnet haben.
Nach rund zwei Stunden werde ich namentlich am Flughafen aufgerufen und gebeten, mich zu melden. Ich ahne, was kommt und melde mich am Schalter. Dort wartet ein Beamter der Passbehörde in Uniform. Er fragt mich, ob ich Georg Baltissen bin. Weiter fragt er, wo die anderen Mitglieder der Gruppe sind. Ich führe ihn zum Bus. Er gibt vor, dass alle Reisenden zurück zur Passkontrolle gebracht werden sollen, Gepäck inklusive. Als wir am Bus ankommen und ich die Anweisung weiter geben will, erhält der „Beamte“ einen Anruf. Danach muss nur ich mit zurück zur Passkontrole, die anderen können bleiben. Mein Gepäck kann ich beim Bus lassen.
Ich folge also dem eifrigen Herrn, der mit russischen Akzent spricht. Er führt mich zwischen Steimatzky und dem Zoll durch den Seiteneingang unter verschärfter Kontrolle an mehreren Türen zurück in den Großraum vor der Passkontrolle. Dort muss ich warten und treffe auf Conny und Jolanta, die sich dort bereits aufhalten. Beide mussten ihre Pässe abgeben. Jolanta wurde nicht verhört, aber Conny schon. Ich erfahre zumindest, dass Conny bei der Einreise Nablus als Zielort angegeben hat. Im weiteren Gespräch an der Passkontrolle wurde sie dann gefragt, ob sie einen Reiseplan habe. Sie hat dann den detaillierten Reiseplan vorgezeigt.
Nach etwa 20 Minuten Wartezeit werde ich dann zum Verhör gebeten. Als erste werde ich erkennungsdienstlich behandelt, die Fingerabdrücke beider Zeigefinger werden genommen und ein Foto von mir gemacht, während ich vor dem Verhörbeamten sitze. Danach beginnt das Verhör. Kernvorwurf ist schnell klar, BDS-Kontakte, aufgehängt an der Fauenunion in Nablus und natürlich an Abdalla Abu Rahmah, ein Terrorist, wie der Verhörbeamte mir erklärt. Ich bestreite, dass Abdallah ein Terrorist sei und spreche von friedlichem Protest, der sogar von der EU gewürdigt worden sei. Der Verhörer hält mir vor, dass Abdallah bereits in Haft gesessen hat, da könne er ja kaum unschuldig sein.
Anhand des detaillierten Reiseplans zeigt mir der Verhörbeamte, welche Namen und Personen er gegoogelt hat. Die meisten Orte und Namen sind rot angestrichen. Als besonders schlimm fällt dem Beamten auch der Name Bir Zeit auf. Das sei quasi ein Terrornest, weil die Hamas im Studentenrat regiere. Ich erwidere, dass wir nicht in der Universität seien, sondern nur das Museum neben der Universität besuchen würden. Das aber habe mit der Studentenschaft der Universität gar nichts zu tun.
Anschließend will der Verhörer noch wissen, wieviel die Teilnehmer für die Reise bezahlt hätten. Ich nenne ihm als Durchschnittspreis rund 2500 Euro. Er nimmt das zur Kenntnis, ohne darauf aber weiter einzugehen.
Ich bestreite im weiteren Verhör entschieden, Mitglied von BDS zu sein oder gewesen zu sein. Als Deutscher würde ich auch nicht zum Boykott von Israel aufrufen, weil das die Nazis gemacht hätten. Davon würde ich mich distanzieren. Ich verweise zudem auf das vorgesehene Treffen mit dem Siedler (Ezra Kormann) in Kafr Adumim, das ja wohl kaum ein BDS-Mitglied unternehmen würde. Ihn interessiere ein Herr Korman nicht, erklärt der Beamte. Dann fragt er mich, wie oft ich an der Demonstration in Bilin mit Abdallah Abu Rahmah teilgenommen habe. Habe ich aber nie, außer mit einer Journalisten-Delegation der Europäischen Union im Jahre 2006. Wenn ich weiter lüge, würde er mich sofort deportieren. Er habe Fotos, die alles belegen würden. Natürlich werden die nicht gezeigt, weil es keine gibt. Gefunden hat der Verhörer beim Googlen aber einen Artikel von mir über die Festnahme von Abdalla in Bilin und eine Razzia, als er nicht zu Hause, sondern hier in Deutschland auf einer Vortragsreise war. Er hält mir vor, dass ich Verbindungen zum BDS habe und erklärt, dass er micht deportieren müsse, da ich eine Gefahr für Israel sei. Zudem würde ich zu Gewalt aufrufen. Ich bestreite die Vorwürfe energisch und sage, dass ich nie zu Haass auf Israel oder zu Gewalt aufgerufen habe. Der Verhörer erklärt daraufhin, dass ich die Mitglieder der Gruppe zum Hass auf Israel erziehe, wenn ich dem Programm folgen würde. Das könne er nicht zulassen. Deshalb müsse ich sofort zurückgeschickt werden. Ich widerspreche den Vorhaltungen gegen mich entschieden. Zudem erkläre ich, dass ich Ende der 90iger Jahre als Korrespondent in Jerusalem gelebt habe und mit dem konflikt bestens vertraut sei. Er fragt mich, wo ich damals gewohnt habe. Ich sage ihm die Adresse, Rachel Imenu in Old Katamon (Westjerusalem). Er sagt, dass sei nicht im Computer, ob ich denn meinen Namen geändert habe. Das verneine ich. Danach fragt mich der Verhörer noch, ob ich denn die israelische Anwesenheit in Judäa und Samaria als Besatzung betrachte. Ich bestätige, dass ich dies als Besatzung betrachte, auch wenn die israelische Version eine andere sei. Bevor mich der Verhörbeamte wieder aus dem Zimmer schickt, erklärt er, dass er mich sofort zurück schicken würde, wenn er dies jetzt entscheiden müsse.
Im Vorraum bei den beiden wartenden Frauen aus der Gruppe kann ich eine Nachricht an meine Frau zu schicken, um wenigstens jemanden auf meine missliche Lage aufmerksam zu machen. Den Frauen erkläre ich, dass die Lage schwierig sei und ich nicht wüsste, was jetzt geschehen würde. Wir warten weiter. Dann kommt nach etwa einer halben Stunde ein großer, bulliger Mann ganz in Schwarz gekleidet und stellt sich als Leiter der Grenzkontrolle vor. Er ruft mich erneut ins Verhörzimmer. Dort erklärt er mir, dass er mich eigentlich sofort zurückschicken müsste. Aber mit Blick auf das Alter der Gruppe würde er noch einmal eine Ausnahme machen und der Gruppe die Einreise gestatten. Auch ich könne einreisen, aber das sei definitiv das letzte Mal, dass ich nach Israel einreisen dürfe. Danach hätte ich Einreiseverbot. Eine Bedingung aber müsste ich definitiv erfüllen, und zwar mich von Polizei und Militär fernhalten. Wenn ich auch nur in der Nähe von Polizei oder Militär aufgegriffen würde, würde ich sofort abgeschoben. Mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen tippte der verhörende Beamte die Entscheidung in den Computer. Dann gibt er mir die drei einbehaltenen Pässe zurück.
Somit konnten die beiden Frauen, die vor dem Verhörzimmer gewartet hatten, und ich gehen. Beim Verlassen der Grenzkontrolle und der Prüfung der blauen Zettel blockieren die Ausgänge an der Passkontrolle. Sofort kommen die Helferinnen herbei. Die Prüfung zeigt mein blickendes Passfoto in Groß mit rotem Rand, bei den Frauen genauso. Wir waren drin, aber der Computer hatte quasi Bände gesprochen.
Bei der Ausreise am 13. Oktober 2018 war schnell klar, dass der Computer alles ausspuckte, was über uns gespeichert war. Aufgrund dessen erfolgte eine Einstufung aller Gruppenmitglieder in den Risikobereich 6 auf dem Kontrollzettel (die höchste Risikostufe, für jeden in der Gruppe mit zweieinhalb Stunden Kontrolle und Bodysearch). Das kann nur als Bestätigung dafür gelesen werden, dass die Behörden bei der Rückfahrt en detail wussten, mit wem sie es zu tun hatten. Alle Infos waren also im Computer, über die Stationen der Reise, die Personen, die wir getroffen haben, unsere Route und was immer mehr. Damit ist auch sicher, dass die Aussage des Shin Bet-Chefs vom Flughafen, dass mir die Einreise untersagt ist, gültig bleibt, auch wenn es keine Eintragung im Pass gab. Das haben mir israelische Kontakte bestätigt. Ich kann also vorerst nicht mehr einreisen. Ob und wie die taz mit dieser Reise weiter machen kann, steht derzeit dahin. Eine Entscheidung wird im Laufe der kommenden Wochen getroffen werden müssen.
Während der Reise selbst blieben wir völlig unbehelligt und konnten unser Program in der vorgesehenen Weise ohne Beeinträchtigung durchführen. Kontakte mit Polizei und Militär haben wir bis auf Hebron vermeiden können. Aus anderer Quelle kann ich noch mitteilen, dass der Shin Beth bei der Busfirma, die uns befördert hat, weitere Erkundigungen über mich, die Gruppe und vorherige Reisen eingeholt hat. Dies lässt vermuten , dass sie weiteres Material suchen, um das Einreiseverbot zu untermauern.
Da sich die geschilderten Einreiseformalitäten am Vorabend des Besuches des Bundeskabinetts unter Leitung der Bundeskanzlerin in Jerusalem (4. Oktober) abspielten, ist davon auszugehen, dass die israelische Seite vermeiden wollte, dass die Nachricht von der Einreiseverweigerung für eine deutsche Reisegruppe mit diesem Besuch in beständigem Zusammenhang hätte auftauchen oder genannt werden können. In Abwägung war offensichtlich die Einreise der (so gefährlichen) Gruppe weniger schwerwiegend als die Nachricht von einer Einreiseverweigerung für eine deutsche Gruppe.
Georg Baltissen