Ich hatte meinen Wanderbegleiter Alfred gebeten, seine Eindrücke und Empfindungen von der siebentägigen Wanderung in Palästina für meinen Blog aufzuschreiben. Nachfolgend nun seine Gedanken und seine Erfahrungen von der Wanderung von Rumana nach Nablus und in den folgenden Tagen bis Jericho.
Nachhaltige Erfahrungen auf einer Wanderung in der 2. Oktoberhälfte 2015 auf dem Abrahamspfad von Rumana bis Nablus und dann fortgesetzt mit einer Unterbrechung (wegen Unwetter und der Gefahr von Problemen mit israelischen Siedlern vor Ort )von Auja bis Jericho.
Diese Gedanken sind sicher nicht zufällig in ihrer Reihenfolge , aber auch nicht geplant und strukturiert.
Ursprünglich war diese Wanderung mein Wunsch nach einer Wanderung durch Halbwüste oder Wüste, die Wahl fiel vor 9 Monaten auf Palästina. Aus einer anfangs meditativ angedachten Wanderung wurde eine politische Wanderung.
Ich kann mich nicht erinnern, auf einer meiner vielen Wanderungen durch verschiedene Länder so freundlich und immer wieder von neuem willkommen geheißen worden zu sein: „welcome palestine“. Die Menschen sprangen uns fast an in ihrer Begrüßung, in den Dörfern, auf den Feldern, bei der Olivenernte: „welcome palestine“. Später glaubte ich einen zweiten Sinn in diesem Angesprochen- werden zu hören: unser Besuch machte Palästina willkommen (existent?) und bedeutungsvoll. Wir gaben dem Menschen die Möglichkeit uns willkommen zu heißen und gaben ihnen auch das Erlebnis, dass wir uns bei Ihnen willkommen fühlen konnten. Wir waren die Einzigen auf diesem Weg, wir trafen niemanden in der Zeit, in der wir diese Strecke von Rumana bis Nablus, also 5 Tage, wanderten. Auch später von Auja nach Jericho gab es keine Wanderer, so wie man sie z. B. auf dem Jakobsweg trifft.
Meine Eindrücke können nur skizzenhaft und natürlich einseitig sein,
ich glaube, dass sich viele Palästinenser, denen ich begegnet bin, irgendwie von der Welt vergessen fühlen, in den Gesprächen wiederholte sich der Punkt, dass die Medien nur die Unruhen, die Tumulte darstellen, nicht aber, dass es auch ein schönes Palästina, ein willkommen heißendes Palästina, freundliche und hilfsbereite Menschen gibt. – welcome to palestine –
Die Gastfreundschaft ist wirklich herzberührend, neben der freundlichen Ansprache wurden wir immer wieder zum Kaffee eingeladen. In den 3 Gastfamilien in denen wir wohnten, die aus sehr unterschiedlichen sozialen Verhältnissen kamen, wurden wir wirklich sehr aufmerksam und hilfsbereit bewirtet. Bei den Familien, die Olivenernte hielten, wurden wir häufig zum Kaffee eingeladen. Als wir am ersten Tag erschöpft in der Mittagshitze durch ein Dorf gingen und man uns wahrscheinlich die Erschöpfung ansah, lud uns ein junger Mann zu kalter Cola im Schatten, später zum Kaffee ein. Die Kinder waren freundlich und lachten . Eine herzerwärmende Unterbrechung der anstrengenden Wanderung.
In den Dörfern und Städten gibt es eine Welt der Jugend und der Kinder. Das ist wirklich ein Unterschied zu Deutschland, was für eine Rolle Kinder und Jugendliche, aber vor allem die strahlenden Gesichter der Kinder und die diskussionsbereiten jungen Männer, die uns geführt haben, spielten. Mit den Kindern gab es dauernd ein Hallo und ein Scherzen, mit den Führern gab es sehr interessante und tiefgehende Diskussionen in einer enormen Offenheit. Wahrscheinlich spielte auch eine Rolle, dass man sich nur 1-2 Tage sah:
Wie geht man mit einem Leben um, wo vieles dauernd irgendwie auf der Kippe steht: wird die Zufahrt von den Israelis gesperrt, gibt es
genug Wasser, gibt es trotz akademischer Ausbildung einen Job oder muss ich als Akademiker als Verkäufer arbeiten, wie halte ich die Demütigungen an den Checkpoints aus? Ich könnte diese Fragen noch verlängern, aber es gibt einen Eindruck wieder, als wenn ständig eine Hand an der Gurgel liegt und die Frage bleibt: wie komme ich mit der Enge eines solchen Lebens zurecht? Eine Antwort scheint mir das Familienleben zu sein, die enge und sehr freundlich wirkende Verbindung in den Familien, die ich kennengelernt habe. Eine klügere Antwort gab mir ein 32jähriger Gesprächspartner in Jericho. Er sagte: „occupied but smart“ als Alternative zu: „free but stupid“. Die Menschen, und ich glaube vor allem die Jüngeren, lernen hier in einer für uns kaum verstehbaren Art und Weise mit den Beschränkungen des Alltags, den Zonen A, B und C in Palästina, den Aufenthaltsbeschränkungen, den
Reisebeschränkungen, dem Eindruck von Menschen 1. und 2. Klasse umzugehen. Und ich hatte den Eindruck in diesem Gespräch – und auch in manch anderen Gesprächen -, dass diese Situation eine doppelte Wirkung hat. Es gibt eine andauernde Anspannung, aber es gibt auch ein Gefühl des Alltags in diesen Jungen z. B. den Führern oder diesem 32jährigen Gesprächspartner aus Jericho, dass sie immer wieder eine Antwort finden auf die Restriktion. Das hat mich beeindruckt. Mich hat auch beeindruckt, wie deutlich sie das Gefühl von „boring“, das ja sehr viel mehr ist als „langweilig“ im Deutschen, als Lebensgefühl beschrieben und dabei mit eingefangen haben, wie sehr sie die Möglichkeiten, sich zu bewegen, sich weiter zu bilden, Jobs zu bekommen, Recht zu bekommen, nicht verwirklichen können, obwohl die intellektuelle und emotionale Potenz in den Betroffenen vorhanden ist.
Die Menschen, denen ich als Führer oder Gesprächspartner, in den Familien oder sonst wo begegnet bin, lieben ihr Land und erzählen gerne von ihrem Land und sie sind auch bereit, in ein differenzierteres Gespräch einzutauchen, z.B. zu Fragen Stellung zu nehmen, warum es so viele Kollaborateure mit den Israelis gibt, woher kommt der Reichtum einer größeren Gruppe von Palästinensern (dadurch, dass sie mit den Israelis Handel treiben und zum Teil von den Blockaden der Israelis ausgenommen werden). Es gab niemanden unter den jüngeren Gesprächspartnern, der sich sehr wertschätzend über die Selbstverwaltungsbehörde äußerte, das hat mich auch erschrocken. Ich bekam den Eindruck, dass die Ordnung unter den Palästinensern nur begrenzt durch die Selbstverwaltung hergestellt wird sondern eher durch große Familienclans, die untereinander für Ordnung sorgen. Manchmal war ich in einem dieser Gespräche richtig verwirrt, legte Pausen ein und versuchte mich zu orientieren. Aber ich hatte zunehmend den Eindruck, dass neben der israelischen Besatzung von Palästina die Struktur der Palästinenser unter sich auch eine lähmende Wirkung hat auf die Weiterentwicklung. Wir hatten viel Zeit zu sprechen. Und begleitet, vielleicht auch aufgelockert wurden diese Gespräche durch eine z.T. wunderschöne Landschaft, freundliche Menschen, weite Blicke über Hochtäler und Bergrücken, schweißtreibende Aufstiege und immer wieder wandern querfeldein ohne Weg, ohne Markierung, aber mit sicheren Führern.
Ich verlasse dieses Land, aus dem ich ein Spannungsfeld von Lebensfreude und Lachen, von unerträglichen Einschränkungen bis hin zu schweren Demütigungen, von einer fast verwirrend wirkenden inneren Struktur und von einer seit Jahrhunderten unverändert wirkenden Landschaft mitnehme.
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