Bis gestern hatte ich die Hoffnung, dass ich nach genau zweijähriger „Corona-Abstinenz“ wieder nach Israel einreisen könnte. Der Flug war gebucht, die Unterkunft im Paulus-Haus gesichert. Erst zum 1. November hatte die israelische Regierung, dass seit März 2020 bestehende Einreiseverbot für Privatpersonen gelockert. Unter bestimmten Bedingungen war ab diesem Zeitpunkt eine Einreise möglich. Ich hatte mich daraufhin direkt um eine Möglichkeit der Einreise gekümmert.
Gestern nun, am 1. Advents-Sonntag, dem 28. November, hat Israel wieder ein Einreiseverbot für Ausländer erlassen. Hintergrund ist die neue Corona-Variante aus Süd-Afrika die seit einigen tagen bekannt ist. So heißt es nun, sich weiter gedulden.
In diesen Tagen hat ein Bericht in der SZ meine Aufmerksamkeit gefunden. Der SZ-Korrespondent in Israel/Palästina, Peter Münch, berichtete von Bemühungen, eines der drei palästinensische Flüchtlingslager in Bethlehem, das „Deiheishe-Camp“in das Welt-Kultur-Erbe-Programm aufnehmen zu lassen. P. Münch schreibt am 23.11. in seinem Beitrag:
„Dheisheh steht für die Enge und das Elend, in dem die palästinensischen Flüchtlinge leben – hier am Rand von Bethlehem oder auch in den 58 anderen offiziell anerkannten Camps im Westjordanland und im Gazastreifen, in Libanon, in Jordanien oder in Syrien. Dort sammeln sich samt ihrer Nachkommen die Geflüchteten und Vertriebenen des israelischen Unabhängigkeitskriegs von 1948, der in den arabischen Geschichtsbüchern als „Nakba“ steht, als „Katastrophe.
Rund 15 000 Menschen leben hier auf ungefähr einem halben Quadratkilometer“, erklärt Khaled al-Saifi, der an einem sonnigen Novembertag durch das Flüchtlingslager führt. Al-Saifi, 62, ist Gründer und Direktor des Kulturzentrums Ibdaa in Dheisheh. Er zeigt auf die Graffitis, die fast jede Hauswand zieren, auf die allgegenwärtigen Bilder von jungen Männern. „Aus fast jedem Haus, das wir hier sehen“, sagt er, gebe es Tote oder Gefangene.
In Dheisheh ist der israelisch-palästinensische Konflikt an jeder Ecke zu spüren, an jedem Tag. Doch wenn es nach Khaled al-Saifi und ein paar anderen geht, dann könnte Dheisheh bald für etwas ganz anderes bekannt werden: als erstes Flüchtlingslager auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbes. Dheisheh, das schäbige Camp im Nirgendwo, stünde dann neben Touristenattraktionen wie Machu Picchu in Peru oder der historischen Altstadt von Bamberg.
Verwirrend, gar grotesk? In jedem Fall, doch das ist gewollt von den beiden Initiatoren des Projekts. Die Palästinenserin Sandi Hilal und ihr italienischer Partner Alessandro Petti sind beide Architekten und Künstler, und sie betreiben das Dheisheh-Unesco-Projekt bereits seit mehreren Jahren. „
Ich habe das Flüchtlingscamp (eines der drei, die sich in Bethlehem befinden) in den letzten Jahren oft besucht, zuletzt im April 2018. Damals war eine Lehrerin der dortigen „UNWRA“-Schule als „beste Lehrerin“ ausgezeichnet worden.
Peter Münch schreibt in seinem Beitrag weiter:
„Anfang 1949 waren hier die ersten Zelte aufgestellt worden für insgesamt 3400 vom Krieg entwurzelte Palästinenser, die aus 44 Dörfern rund um Jerusalem und Hebron stammten. Ende der 50er-Jahre wurden die ersten kleinen Häuser gebaut. Die Häuser wuchsen in die Höhe, aus holprigen Feldwegen wurden holprige Asphaltstraßen. Inzwischen geht die dritte oder vierte Generation von Flüchtlingen in die von den Vereinten Nationen betriebenen Schulen in Dheisheh.
Voraussetzung für die Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes ist allerdings laut Unesco-Definition ein „außergewöhnlicher universeller Wert“ – und der ist zumindest beim ersten Blick auf das Elend von Dheisheh kaum zu erkennen. Mehr als 60 Prozent der Bewohner sind hier jünger als 30 Jahre. Die Arbeitslosigkeit ist mit 30 Prozent höher als irgendwo sonst im Westjordanland. Hier will nicht nur jeder weg. Hier will jeder wieder dahin zurück, wo die Familie einst herkam.“
Ich bin nun sehr gespannt, wie sich diese Angelegenheit entwickelt.
Wie sagte einer der Initiatoren zu Peter Münch: „Ich weiß nicht, ob das Projekt erfolgreich wird oder nicht, aber das ist auch nicht das Wichtigste“, sagt er. „Das Wichtigste ist, dass die Welt sich durch dieses Projekt an das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge erinnert.“
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