Überfall auf dem Weinberg

Liebe Leser:innen meines Reise-Blogs

genau vor 10 Jahren, im April 2012 habe ich mit der Berichterstattung in diesem Blog begonnen, damals habe ich für mehr als 4 Wochen auf dem Weinberg gelebt und dort mit vielen (jungen) VolontärInnen gearbeitet. Der Weinberg und seine Bewohner:innen sind mit ans Herz gewachsen. Ich habe „hier“ oft über ihn berichtet, von vielen Besuchen erzählt. Ich habe über die Schönheiten des Geländes aber eben auch über die Anstrengungen geschrieben, die auf der Familie Nassar lasten: der Jahrzehnte lange Streit mit den israelischen Militärbehörden die Anerkennung dieses Grundstückes betreffend, die immer wieder kehrenden Attacken, meist ausgelöst von den Siedlergruppen aus der Umgebung.

Seit 2020 aber haben diese „Angriffe eine „neue Qualität“ bekommen: Bewohner des benachbarten palästinensischen Dorfes Nahalin haben Anspruch auf einen Teil des Geländes erhoben. Dieses geschah zum ersten Mal, obwohl die Familie Nassar seit mehr als 100 Jahren den Grundstückbesitz urkundlich gesichert hat. Dieser „neue“ Besitzanspruch wurde aber nicht gerichtlich geklärt, sondern es wurden gewaltsame Eingriffe auf dem Gelände vorgenommen. Ich habe zuletzt im Mai 2021 über den damaligen Feuerangriff berichtet.

Nun aber hat sich ein dramatischer Vorfall ereignet, der alles bisher dagewesene an Gewaltätigkeit übersteigt: am 28. Januar 2022 wurden die beiden Nassar-Brüder Daher und Daoud von einer Gruppe vermummter Palästinenser zusammengeschlagen. Hier der Bericht des Sohnes von Daher:

Heute, am 28. Januar, wurden mein Vater Daher und mein Onkel Dauod brutal angegriffen, als sie auf dem Hof unserer Familie, dem „Zelt der Nationen“ in der Nähe von Bethlehem, arbeiteten. Beide wurden mit schweren Stöcken und Messern angegriffen, die ihnen schwere Wunden an Kopf und Körper zufügten. Sie liegen jetzt im Krankenhaus und müssen dort übernachten.

Ich bin besonders erschüttert darüber, dass dies von einer Gruppe maskierter Palästinenser aus dem nahe gelegenen Dorf Nahalin. Dies spiegelt sicherlich nicht das palästinensische Volk wider, und wir sind uns nicht sicher, was ihre Motive sind oder wer dahinter steckt, aber es ist wirklich hart zu sehen, wie unsere palästinensischen Brüder die Familie angreifen, die seit über 30 Jahren einen Rechtsstreit führt, um zu verhindern, dass das Land von den israelischen Behörden beschlagnahmt wird. Sie haben alles getan, um die Farm als einen gewaltfreien Ort zu erhalten, frei von jeglicher Form von Gewalt. Die Familie fordert Gerechtigkeit und dass die Verantwortlichen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden.

Besuch im Krankenhaus, rechts Oliver Owcza, links der Toni Nassar

Nach dem Angriff maskierter Männer auf die christliche palästinensische Familie Nassar hat es eine Welle lokaler und internationaler Solidaritätsbekundungen zur Unterstützung der Familie gegeben.

Der Leiter der deutschen diplomatischen Vertretung in Ramallah, Oliver Owcza, besuchte die Familie Nassar am Montag in ihrem Krankenhaus in Bethlehem. Die Familie erklärte später gegenüber Maghtas.com, dass der deutsche Diplomat seine Solidarität mit Daher und Daoud Nassar zum Ausdruck brachte, die am vergangenen Freitag, den 28. Januar, mit scharfen Gegenständen angegriffen wurden. (siehe den Bericht darüber hier)>

Der deutsche Diplomat forderte, dass die Verantwortlichen für den Angriff zur Rechenschaft gezogen werden müssen.

Ein Vertreter der US-Botschaft rief ebenfalls bei der Familie an und drückte seine Solidarität aus und forderte Gerechtigkeit und Rechenschaft.

Am Montagabend besuchten auch der Vorsitzende des Gemeinderats von Nahalin, Subhi Zeidan, und andere Mitglieder des Gemeinderats sowie führende Vertreter der nationalen Streitkräfte die Familie Nassar im Krankenhaus. Die Führer des Dorfes verurteilten den Angriff.

Mitglieder der Familie Nassar erklärten außerdem, dass sie bereits den dritten Tag lang viel lokale und internationale Unterstützung erhalten haben. Alle Anrufer fordern die Verhaftung der Angreifer und die Beilegung des Landstreits.

Bei ihrer ersten Rückkehr zu ihrer Farm seit dem brutalen Angriff am 28. Januar begrüßten Daoud und Daher Nassar eine Delegation von Kirchenführern und anderen lokalen und internationalen Unterstützern und dankten ihnen für ihre Solidarität in diesen schwierigen Wochen.

Darüber hinaus kündigte Daoud Fortschritte vor den israelischen Militärgerichten an, denn alles deutet darauf hin, dass ihr Eigentum zum ersten Mal nach israelischem Recht als Eigentum ihrer Familie anerkannt wird. Sie baten jedoch darum, weiterhin dafür zu beten, dass dies tatsächlich der Fall sein wird und es sich nicht um eine weitere falsche Morgendämmerung handelt. 🙏

Die Familie Nassar empfing auch Vertreter des nahe gelegenen arabischen Dorfes Nahaleen, wobei der Bürgermeister selbst eine öffentliche Entschuldigung verlas, in der er die aus diesem Dorf stammenden Angreifer verleugnete.

Die Familie ist zwar dankbar für diese Geste, wartet aber immer noch auf die Verhaftung der Täter. Daoud erklärte uns: „Wir brauchen nicht nur Worte, sondern Taten“.

Er rief die lokalen Unterstützer auf, die Nächte auf der Farm zu verbringen, damit sie eine Sicherheitspräsenz haben.

Seit dem Überfall auf die beiden Brüder Nassar haben sich auch Vertreter:innen des Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen gemeldet.

Mehr über Ihre Aktivitäten können hier gelesen werden. Berichte vom 12. Februar („Wir weigern uns zu hassen“) und 15. März 2022 („Ein Lichtstreif am Horizont“)

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*