„Man kann nicht gegen Antisemitismus kämpfen und gleichzeitig ein anderes Volk unterdrücken“

Gespräch mit Roni Hammermann von der israelischen Menschenrechtsgruppe "Machsom Watch" in ihrer Wohnung in Jerusalem

 

Gespräch mit Roni Hammermann von der israelischen Menschenrechtsgruppe „Machsom Watch“ in ihrer Wohnung in Jerusalem

Die Frauenorganisation Machsom Watch, auf Deutsch «Kontrollposten-Wache», gehört zum harten Kern der israelischen Menschenrechtsbewegungen, die sich dem breiten Konsens widersetzt und für Frieden und Aussöhnung einsteht.

„Humanitär Line“ ein gesonderter Durchlass

Seit Beginn der 2. Intifada Ende 2001 beobachten Frauen das Verhalten israelischer Soldaten gegenüber den passierenden Palästinensern. Ihre These: Die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, die Israel den Palästinensern mit den Checkpoints auferlegt, dienen nicht der Sicherheit. Sie sind ein elementares Instrument der Besatzung, deren Ende nicht in Sicht ist. Zu groß seien Israels politische, wirtschaftliche und strategische Interessen am Westjordanland. Am 1. September 2008 wurde Machsom Watch der Aachener Friedenspreis verliehen.

Ich habe mich vorgestern mit einer der in Deutschland bekanntesten Aktivistin dieser Gruppe – Roni Hammermann – in ihrer Wohnung in Jerusalem getroffen. Roni Hammermann, geb. 1940, Tochter europäischer Emigranten, die nach dem 2. Weltkrieg wieder nach Wien zurückkehrten, dort ging sie zur Schule, studierte und promovierte in russischer Literatur, 1969 Rückkehr nach Israel, hat sich seit dem  für Frieden und Gerechtigkeit eingesetzt, von Anfang an auch bei bei Machsom Watch dabei. Das Schicksal ihres Großvaters und seine Erzählungen vom Holocaust hatten direkten Einfluss auf ihre Beziehung zu den Palästinensern. Hammermann: «Ich bin damit aufgewachsen, meine Stimme zu erheben, wenn irgendwo Unrecht geschieht. Man kann nicht gegen Antisemitismus kämpfen und gleichzeitig ein anderes Volk unterdrücken“

Checkpoints: oft Orte der Erniedrigung und der Willkür

Insgesamt gehören derzeit mehr als 200 Frauen zur Gruppe. Nachdem die Gruppe zunächst ausschließlich an den Checkpoints gestanden und beobachtet hat, haben sich wegen der Vielzahl der Menschenrechtsverletzungen durch die Besatzungsmacht Israel, in den letzten Jahren die Aufgabenbereiche der Gruppe erweitert. So gibt es Frauen (hier ist auch Roni Hammermann dabei) die die Arbeit der Militärgerichte beobachten, andere beschäftigen sich mit den oft willkürlich verhängten Polizeistrafen (so z. B. im Verkehrsbereich auf den Straßen im Westjordanland, aber auch in Israel), andere beobachten die Arbeit des Geheimdienstes (der u.a. immer wieder Palästinenser zur Bespitzelung der Landsleute rekrutiert), eine kleine Gruppe beobachtet das Verhalten in den öffentlichen Bussen. Hier kommt es häufig vor, so erzählte mir Roni,  das pal. Arbeiter mit Einreiseerlaubnis nach Israel, auf dem Weg zu Arbeit widerrechtlich aus den öffentlichen Bussen verwiesen werden. Alle Erkenntnisse der Gruppe werden dokumentiert und auf der Webseite www.machsomwatch.org veröffentlich.

Nidal seit Herbst 2012 ohne Anklage eingesperrt

Roni hat mir von ihren Erlebnissen bei den Militärgerichten berichtet.  Nach ihrer Auffassung haben die angeklagten Palästinenser „keine Chance“ auf eine faire Be- und Verurteilung. „Verhandelt“ wird manchmal nach altem britischen Mandatsrecht, vor allem nach den Verordnungen der Armee, die seien nirgends festgeschrieben, auf die kann sich also der Anwalt (auf den ein Anspruch besteht). Für Roni sind diese „Verhandlungen“ eine „Pharse“, alle Beteiligten (außer dem Anwalt) sind vom Militär, es gibt keine neutrale Instanz. Häufiger Anklagevorwurf „Angehörigkeit zu einer verbotenen Organisation“. Das die Verhandlungen häufig in Israel stattfinden (auch die Gefängnisse sind meist in Israel), ist gegen das Völkerrecht und verhindert zu dem das Angehörige teilnehmen können, bzw. Besuche machen können. Roni beklagt auch, das in den Palästinenser Gebieten „zweierlei Recht“ herrscht: alle jüdischen Siedler die dort wohnen werden nach israelischen Recht behandelt. So kann es sein, das für die gleiche Tat es vollkommen unterschiedliche Urteile geben kann. Hat ein jüdischer Siedler versucht eine Moschee anzuzünden, wird er nicht (wie ein Palästinenser der versucht eine Synagoge anzuzünden) als Terrorist vor Gericht gestellt, sondern als „Angehöriger einer nicht legalen Gruppe“). Entsprechen krass ist auch der Unterschied im Strafmaß. 
Roni Hammermann hat einmal zufällig auf die Tafel in einem Schulungsraum des Militärs geschaut. Dort las sie was das grundsätzliche Motto des Einsatzes an den Checkpoints und in den besetzten Gebieten ist:  “ die Bevölkerung soll in einem ständigen Zustand der Ungewissheit gehalten werden“.

was wird die Zukunft ihnen bringen?

Wie sollen vor diesem Hintergrund die Palästinenser ihr Leben planen können, fragt Roni, wenn sie nicht einmal wissen was morgen sein: wird ob die Straße gesperrt ist, ob die Ausreiseerlaubnis zur Arbeit in Israel noch gilt…..
Die Unterstützung in Ihre Familie für Ihr Engagement ist groß, allerdings haben sich auch Freunde von ihr abgewandt, sie auch schon als „Verräterin“ beschimpft. Insgesamt gibt es in Israel zahlreiche Gruppierungen, die sich in diesem Konflikt engagieren, aber es sei wie überall auf der Welt mit dem bürgerlichen Engagement: die große Masse schweigt, engagiert sich nicht, will in Ruhe gelassen werden. Auch deshalb hat die Gruppe hier begonnen Touren zu die Orten zu machen an denen sie beobachten und sich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen. Hier machen sie die Erfahrung in letzter Zeit, dass zunehmend mehr Israelis teilnehmen und sich informieren wollen. Für Roni und ihre Gruppe ein kleiner Hoffnungsschimmer
Zum Schluss unseres Gespräches bittet Roni Hammermann gerade uns Deutsche, sich besser über die Situation hier in Palästina zu informieren (wenn möglich sogar hier vor Ort), dann Druck auf die (politische) Öffentlichkeit auszuüben mit dem Ziel das es eine gerechtere Unterstützung beider Konfliktpartner gibt.

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

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