Sumaya Fahat Naser: „Nachgeben ist Stärke“

Heute war der zweite Jerusalemtag der Gruppe. Wieder sind wir mit dem öffentlichen palästinensischen Bus von unserer Herberge nach Jerusalem gefahren. Dort haben wir Michal getroffen, die israelische Guide, die mich und meine Gruppen in den letzten Jahren begleitet hat. Michal kommt ursprünglich aus der Schweiz, lebt aber schon sehr lange in Israel.

Mit ihr und ihren geschichtlichen Kommentaren haben wir uns den auf den „Harem Al-Scharif“ der für Moslem „geheiligte Platz“ begeben, den die Juden auch Tempelberg nennen, da hier früher der jüdischen Tempel gestanden hat. Auf diesem großen Platz steht die (etwas unscheinbar ausschauende) Al Aqsa-Moschee und eben der wunderschöne, achteckige Felsendom mit der markanten goldenen Kuppel.

Aufgang zum „geheiligten Platz“

Dieser weltbekannte Platz war in den letzten Jahren oft Ausgangspunkt für schwere Auseinandersetzungen zwischen der muslimischen Bevölkerung und der israelischen Polizei. Für Juden ist es untersagt auf diesem Platz zu beten. Dieses Verbot, oft auch als Provokation gegenüber den Moslems, wird häufig überschritten wird. Dann kommt es immer zu diesen gewalttätigen Auseinandersetzungen.
Auch heute konnten wir beobachten, wie eine Gruppe Juden von einer Polizeieskorte auf dem Platz begleitet wurde. 

Anschließend sind wir durch die Altstadt zur Grabeskirche gegangen.  Zur gesamten Situation im Zusammenhang mit den vielen christlichen Gemeinschaften, die sich diesen Kirchenraum teilen (müssen) möchte ich diesen Film empfehlen, der die oft skurrile Situation in diesem Gotteshaus wunderbar zeigt „Das Haus meines Vaters hat viele Wohnungen“

die grauen Kuppeln der Grabeskirche vom „geheiligten Platz“ aus gesehen

Um die Mittagszeit haben wir im Paulus-Haus die bekannte Buchautorin Sumaya Fahat Naser getroffen. Ich hatte sie zuletzt vor einem Jahr an der gleichen Stelle getroffen. Sie wohnt in der Nähe von Ramallah etwa 28 Kilometer von Jerusalem entfernt. Normalerweise braucht sie etwa eine halbe Stunde, heute hat die Fahrt über 3 Stunden gedauert. Hintergrund dieser langen Anfahrt waren drei „fliegende“ Checkpoints, die wegen der angespannten Situation in der Westbank von den israelischen Besatzungssoldaten eingerichtet wird sind.

Ich hatte schon mal erwähnt, dass Sumaya und Fatima sich in der gemeinsamen Schulzeit in Talitha Kumi kennengelernt hat. Sie sind seit dem befreundet. Über diese muslimisch-christlich Frauenfreundschaft wurde ein Film gedreht. Hier ist der Link dazu. Sumaya erzählte uns, dass sie und ihr Mann, in vielen Gesprächen vor Jahren mit Fatimas Mann Hassan und der Familie, diese davon überzeugt haben, dass Fatima die Sozialarbeit für die Menschen mit Behinderung leisten konnte/durfte.

Sumaya wirkt in dem Gespräch, kämpferisch, ja fast leidenschaftlich beschreibt sie ihre Sicht der Zustände hier, die aktuelle Situation. Ich habe im Internet ein Interview mit ihr gefunden, vom Mai vergangenen Jahres , zu der ich diesen Link lege. Sie ist immer noch in der Friedenserziehung tätig, geht regelmäßig in 9 Schulen um mit den Schüler:innen gewaltfrei Kommunikation einzuüben.

Sumaya erzählte davon wie sie in den Endachtziger Jahren mit 80 Frauen aus Israel und Palästina in einem Workshop trainiert hat, wie man miteinander und nicht übereinander spricht. Diese ersten Erfahrungen im Kontakt mit der „anderen Seite“ führte zu verblüffenden Erkenntnissen: „Ihr seit ja ganz normal“ war die enthüllende Feststellung.

Hier noch drei Zitate von Sumaya:

„Nachgeben ist Stärke“

„Religion ist wie ein Gemüsemarkt, man findet was man sucht“

„Irgendwann werden sie verhandeln müssen, warum dann nicht gleich, beide werden verlieren, die einen mehr die anderen weniger“

Zum späten Nachmittag sind wir noch durch das orthodoxe Viertel Mea Shearim gegangen, was einen , wie immer, in eine völlig andere Welt eintauchen lässt.

Mea Shearim

Roni Hammermann, oft von mir in diesem Blog oft erwähnt, da ich sie häufig, auch mit meinen Gruppen in den letzten Jahren getroffen habe. Ich erlaube mir den Nachruf der jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten hier zu veröffentlichen:

Wir trauern um Roni Hammermann, die am 3. September nach einer schweren Krankheit in Jerusalem gestorben ist. Roni gehörte zu den ersten Aktivistinnen der Frauen-Menschenrechtsorganisation Machsom Watch (Checkpoint Watch), die 2001 gegründet worden ist. Mit ihren Mitstreiterinnen stand sie an israelischen Checkpoints,  beobachtete und dokumentierte wöchentlich die Menschenrechtsverletzungen, die von israelischen Soldaten gegenüber Palästinenserinnen und Palästinensern begangen wurden. Ihre Berichterstattung offenbarte der Welt die Umstände der Besatzung an den Checkpoints. Später beobachtete sie die Missstände in Militärgerichtsprozessen. Roni  hat die Arbeit der Organisation und ihre Ziele bei Vortragsreisen in Europa  vertreten, und so haben auch wir in Berlin durch ihre lebendige, kluge, sehr informative Erzählung und politische Einschätzung das unerschrockene  Engagement der Frauen an den Checkpoints kennengelernt.  Eine tiefgründige, humane Einstellung, Warmherzigkeit, Nachdenklichkeit, Klugheit und Bescheidenheit charakterisierten ihre integre Persönlichkeit.

Roni Hammermann 2018

Tageszitat aus „Recht ströme wie Wasser“

Ehe noch die Welt erschaffen war, war der Herr allein mit seinem großen Namen. Da stieg ihm der Gedanke auf, eine Welt zu erschaffen. Und er ritzte vor sich eine Welt hin. Aber die Welt konnte nicht bestehen, bevor er die Umkehr erschuf….

Er sprach: baue ich die Welt allein auf Barmherzigkeit auf, die Sünde nimmt überhand; lasse ich aber die Härte des Gesetzes allein walten, wie wird da die Welt bestehen? Ich will sie nun auf Milde und Strenge zugleich begründen, und, ach, dass sie dann bestehe.  (Micha Josef bin Gorrio

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

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