Der Verlust des eigenen Zuhauses
Bericht von einer Hauszerstörung im Westjordanland. Von Christine Heberlein
„Es wäre besser, sie würden uns töten, anstatt uns so leben zu lassen“, sagt Msaed
il Hammed – einen Tag, nachdem sie ihr Zuhause und den Großteil ihres Besitzes
verloren hat. Ihr Gesicht ist dabei voller Tränen der Verzweiflung.
Am 22. Januar um ca. zehn Uhr kam die israelische Armee mit Abrissfahrzeugen
nach Khirbet Yarza und zerstörte innerhalb einer Stunde vier Zelte, zwei
Viehunterstände sowie einen Großteil der Lebensmittel, Küchenutensilien und des
Viehfutters – das Zuhause und die Existenzgrundlage von 16 Menschen, darunter 10
Kinder.
In Khirbet Yarza, einem abgelegenen Dorf ca. 20 km nordöstlich von Nablus, leben
elf Familien, insgesamt etwa hundert Leute. Die Bewohner leben vor allem von der
Landwirtschaft: Die Männer sind tagsüber mit ihren Ziegen- und Schafherden
unterwegs um in der kargen Hügellandschaft Weideflächen zu finden.
Auch vor der Zerstörung durch die Armee war das Leben von Msaed und ihrer
Familie nicht einfach: Sie teilte sich mit ihrer Familie und der Familie ihres Sohnes
vier Zelte und war auf Lebensmittel des Welternährungsprogramms angewiesen.
Fließend Wasser gibt es hier nicht, sodass das Wasser in einem nahegelegenen Dorf
gekauft und in Tanks nach Khirbet Yarza gebracht werden muss.
Vor einem Jahr hatte die Familie einen Abrissbescheid bekommen: Das Gebiet, in
dem das Dorf liegt, war von Israel zur Militärzone erklärt worden. Vor Gericht wurde
zwar erreicht, dass der Fall auf Eis gelegt wurde, allerdings ohne Zeitangabe. Msaeds
Familie musste seitdem jeden Tag mit der Zerstörung ihres Besitzes rechnen.
Als die israelische Armee dann vormittags mit über fünfzig Soldaten sowie mit
Baggern auftauchte, blieb keine Gelegenheit, etwas von ihrem Besitz zu retten:
Die Küchenutensilien wurden zerstört, das Getreide auf dem Boden verteilt und
einige Hennen unter den Trümmern begraben. Auch die Elektronik einer
Solaranlage, die von einer spanischen Hilfsorganisation finanziert wurde und die
Familie mit Strom versorgte, wurde zerstört.
Für die Nacht wurden die Kinder und Frauen in den nächstgelegenen größeren Ort
gebracht. Msaed und die Männer blieben jedoch in Khirbet Yarza bei ihren Tieren
und mussten unter freiem Himmel übernachten.
Was die Situation zusätzlich verschärft, ist die Tatsache, dass das Internationale
Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) keine Zelte mehr als Notunterkünfte für von
Hauszerstörungen betroffene Familien im Jordan-Tal zur Verfügung stellt. Hintergrund
sind die wiederholten Konfiszierungen von bereitgestellten Zelten durch das
israelische Militär. Erst einen Tag nach der Hauszerstörung wurde Msaeds Familie
von anderen Hilfsorganisationen mit Zelten, Decken, Lebensmitteln und den nötigsten
Sanitärartikeln versorgt.
Im letzten Jahr wurden 663 Bauten von Palästinensern zerstört, was zur gewaltsamen
Vertreibung von 1.103 Palästinensern geführt hat, etwa die Hälfte davon Kinder. 80%
der mit Hauszerstörungen verbundenen Vertreibungen ereigneten sich in Gemeinden
im Jordan-Tal.
http://www.ochaopt.org/documents/ocha_opt_11_12_2013_press_release_english.pdf;
UN OCHA on forced displacement: http://www.ochaopt.org/content.aspx?id=1010137
Nach der Zerstörung übrig gebliebene Lebensmittel und
Kochutensilien
Auch in Khirbet Yarza sind noch weitere sieben Familien von Zerstörungen durch die
israelische Armee betroffen: Deren Häuser wurden zwar nicht zerstört, allerdings ist die
Zerstörung ihrer Ställe ebenfalls ein schwerer Schlag für die Familien, die auf
ihre Einkünfte aus der Viehzucht angewiesen sind. Zudem wurden die einfachen
Sanitäranlagen, die von einer internationalen Hilfsorganisation finanziert wurden, zerstört –
teilweise bereits zum zweiten Mal. Die Solaranlagen der anderen betroffenen
Familien sind nun ebenfalls unbrauchbar.
Gut eine Stunde hat die israelische Armee gebraucht, um die Abrissbescheide
auszuführen. Eine Stunde – und das Leben der Dorfbewohner von Khirbet Yarza ist
nicht mehr wie es vorher war.
Nicht einmal vier Wochen später kam die Armee zurück, um die notdürftigen Unterkünfte
und Viehställe von Msaeds Familie abermals zu zerstören.
Die Armee hatte die Familie nach der letzten Zerstörung gewarnt: Sollte die Familie
weiterhin an gleicher Stelle wohnen, werde die Unterkunft erneut zerstört.
Wie schon bei der letzten Zerstörung blieb auch diesmal keine Zeit, etwas in
Sicherheit zu bringen, als die Armee in Begleitung eines Baggers gegen sechs
Uhr morgens in Khirbet Yarza erschien. Diesmal kam ein wenige
Tage altes Kalb bei der Zerstörung des Viehunterstandes um. Das Essen
der Familie wurde auf den staubigen Boden geworfen. Zudem wurde der
Traktor der Familie konfisziert. Als die ökumenischen Begleitpersonen
in Khirbet Yarza eintrafen, stand die Familie unter Schock. „Jeder wird aus Palästina vertrieben; bald sind keine Palästinenser mehr übrig“, sagt Msaed Im Fall von Msaeds Familie war Israels Politik der schleichenden
Vertreibung, die seit Jahrzehnten betrieben und im Jordan-Tal besonders deutlich wird, erfolgreich:
Die Familie verließ den Ort, an dem sie seit Generationen gelebt hatte, um in ein nahegelegenes
leerstehendes Haus zu ziehen. ___________________________________________________________________________
Ich nehme mit pax christi, Deutsche Sektion als Ökumenische Begleitperson am Ecumenical
Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI), einem Programm des World
Council of Churches, teil. Die hier geäußerten Ansichten sind persönlich und spiegeln nicht
unbedingt die Meinungen meiner Entsendeorganisation pax christi oder des WCC wider.
Wenn Sie die hier enthaltenen Informationen gerne weiterleiten oder veröffentlichen würden
(inkl. des Postens auf einer Website), kontaktieren Sie bitte vorher eappi@paxchristi.de oder
den EAPPI Communications and Advocacy Officer (eappi.advocacy@gmail.com), um die
Erlaubnis dafür zu erhalten. Vielen Dank.
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