Backstuben-„Höhlen“-Gespräch bei Fatima

An meinem letzten Tag in Palästina war ich zunächst zum sonntäglichen Gottesdienst in der Dormitio-Abtei in Jerusalem. Es war ein wirklich kalter (8 °C) und sehr regnerischer Sonntag, für mich eine ganz neue „Palästina-Erfahrung“, die ich nicht wirklich gebraucht hätte. Der besondere Gottesdienst der Benediktiner Mönche und der sehr gute Milchkaffee in dem gemütlichen Cafe der Dormitio weckte aber wieder alle meine Lebensgeister.

Fatima`s "Höhle
Fatima`s „Höhle

Für den Nachmittag habe ich mich zum Abschied mit Fatima verabredet. Ich traf sie in einem Schuppen, den sie, wie ich im Verlauf des Nachmittages erfuhr, zu ihrer „Höhle“ eingerichtet hat, unter anderem mit einem Ofen auf dessen heißem Backblech sie dünnes Fladenbrot backte. Im Ofen erhitzte sie frischen Pfefferminztee. Es war also gemütlich, da es gut roch und vor allem war es „lecker“ warm (das Wort „gemütlich“ Fatima zu erklären war schwer)

Im Verlauf der nächsten Stunde entwickelte sich ein intensives Gespräch mit ihr, wie so oft seit dem ich Fatima kenne, wenn ich mal mit ihr alleine sein kann. Sie „schüttet“ dann mir, dem fremden aber doch mittlerweile durch die vielen Begegnungen zum Freund gewordenen Mann ihr „Herz aus“. Vieles in ihrem Leben beschäftigt, ja belastet sie sehr. Es tut ihr wohl einfach gut darüber zu reden, dabei „etwas Ballast“ abzuwerfen, auch wenn sich ihre Situation nicht wirklich ändern kann. Vieles, wo runter sie leidet, hängt mit der Kultur, den Traditionen zusammen mit denen sie einfach Leben muss. So kamen wir auf die Situation ihrerbehinderten Tochter Magdolin zu sprechen, die vor fast sieben Jahren ihre Ausbildung als

Brotteig
Brotteig

Übersetzerin (Arabisch-englisch) abgeschlossen hat und immer noch eine Arbeitsstelle sucht. Viele die sie kennt würden mit „Verbindungen“ es schaffen für ihre Kinder eine Arbeitsstelle zu finden. Überhaupt würden sich die Meisten nur um sich selbst kümmern. Selbst fehlende Abiturzeugnisse können bezahlt werden. „Hier bei uns werden die Reichen immer reicher, sie bekommen auch bei schlechteren Voraussetzungen die beste Arbeit“. Sie weigert sich das gleiche zu tun. „Ich will keinem/keiner Anderen den Platz weg nehmen“. Deshalb nutzt sie nicht die Verbindungen die sie hätte, um für sich bzw. ihrer Tochter Vorteile zu verschaffen. Aber es gibt nur wenige die sich auch so verhalten. Den meisten geht es ums Geld sagt Fatima. Ihre 2013 verstorbene Mutter habe im Zusammenhang mit Freundschaften den Satz geprägt:

Backofen
Backofen

Hast Du bei ihm/ihr Erfahrungen mit Geld, wenn nicht dann kennst Du ihn nicht richtig.
Wir kamen auch noch einmal auf die Rolle der Frau in der arabischen Familie zu sprechen. Die Männer lassen sich bedienen. So verhält sich auch ihr erstgeborener Sohn, der eine Kariere bei der Arab-Bank gemacht hat, der aber in jeder freien Zeit sich mit „Kind und Kegel“ bei ihr aufhält. Er sagt was er essen möchte und ist sauer wenn es das Gewünschte nicht gibt. Wenn sich Fatima beschweren würde, könne das weder der Sohn noch der eigene Ehemann Hassan verstehen. Ich habe in meinem eigenen Haus nur ganz selten Ruhe, eine eigene Privatsphäre. Immer besser verstehe ich das für sie die Zeit in Deutschland, im Herbst 2013, als sie dort wegen einer Operation, vier Wochen war, „zur schönsten Zeit in ihrem Leben“ zählte.

Fatima ließ mich wissen, dass sie sich lieber einfach kleidet, alles Technische nicht bräuchte, lieber im Ofen backt/kocht und eben gerne in einer Höhle leben würde. Das alte Beduinenleben steckt wohl tief in ihr….

Wir sind dann noch zu einer Nachbarin gefahren, die, um für die Schulausbildung ihrer sieben

Fatima "schwört" auf Apfelsinen mit "gesundem" Rand
Fatima „schwört“ auf Apfelsinen mit „gesundem“ Rand

(!) Söhne auch etwas Geld beizutragen, Fladenbrot backt. Als ich der Frau meine Anerkennung zum Ausdruck bringen wollte, erfuhr ich eine weitere „Besonderheit“ im arabischen Leben. Man erzählt nicht gerne über etwas Positivem: z.B. viele Söhne, oder ein neues Auto, oder einem guten Beruf. Mann/Frau befürchtet, dass es ein Unglück gibt (etwas mit den Kindern, ein Autounfall etc.). Dagegen erzählt man schon wenn man viele Töchter hat (damit kann man wohl nicht angeben…)

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

1 Kommentar

  1. Es ist eine,in ihrer Sitten und Traditionen gelähmte Gesellschaft. Wie soll bitte 50% einer Gesellschaft im Schatten der Männer leben? Zum Thema erstgeborene Söhne kann man nur erstaunen wie igozentrisch sind diese erzogen! In der arabischen Gesellschaft sind behinderte Kinder eine grosse soziale Last. Es fehlt an Humanismus und Aufklärung. Mein lieber Marius, danke fur deine Art zu berichten. Es gibt eine Menge zu tun, aber auch Kritik und Analysen. Lg

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