Ni`lin: Erneuter Besuch in einem mutigen Dorf

Als ich mich heute morgen recht früh in Beit Jala aufmachte um ein zweites Mal Saeed Amireh in Ni`lin zu besuchen, bereitete sich das Städtchen, wie alle christlichen Orte im Westjordanland, auf den Empfang des heiligen Feuers vor. www.orthpedia.de/index.php/Heiliges_Feuer
Leider war das angekündigte Wetter nicht diesem feierlichen Anlass entsprechend angekündigt: Regen bei kalten 10°C. Ich wollte versuchen diesen Höhepunkt der Orthodoxen Christen heute Nachmittag hier live mit zu erleben.

Aber zunächst einmal bin ich über Jerusalem nach Ramallah mit dem Bus gefahren. Dort hat mich dann eine gute Bekannte von Saeed, mit der ich bereits seit längerem per Mail verbunden bin, mit ihrem Auto den etwa 27 km langen Weg in den Westen Palästinas mitgenommen. Unterwegs erzählte sie mir, dass Saeed ihr heute morgen gepostet habe, dass es auch am gestrige Freitag, wie immer seit Jahren, ein Tag des friedlichen Protestes der Bewohner von Ni`lin, zu Auseinandersetzungen mit den israelischen Soldaten gekommen sei, die bis in die Nacht gedauert hätten.

Militäreinsatz im Februar foto: Ni`lin Volkskomitee
Militäreinsatz im Februar
foto: Ni`lin Volkskomitee

Am Ortseingang wurden wir von einem großer Wachturm „empfangen“ der seit meinem letzten Besuch im Herbst 2014 errichtet wurde, und nun den israelischen Soldaten die beste Möglichkeit bietet, genau zu beobachten, wer in das 5.000 Einwohner Dorf hinein und wer heraus fährt. Saeed empfing uns in seinem Elternhaus und berichtete von den Vorfällen gestern. Die Reaktionen der israelischen Soldaten sind –so Saeed-in den letzten Monaten brutaler geworden. Oft kommen sie schon ins Dorf und warten nicht darauf, dass der Demonstrationszug von meist um die 150 Personen bis nahe an die Mauer kommt. Oft wird jetzt „scharf“ geschossen, zuletzt wurde vor zwei Wochen ein 14 Jähriger Junge am Hinterkopf getroffen. Seit einiger Zeit kommen weniger internationale und israelische Aktivisten zu den Freitagsprotesten. Dies hat auch zu Folge das keine Filmaufnahmen mehr gemacht werden, das wiederum fördert die dann „ungehemmte“ Gewalt der Soldaten. Trotz der gewalttätigen Einsätze halten die Bewohner von Ni`lin an dem Grundsatz der Gewaltfreiheit fest. In Zusammenarbeit mit den örtlichen Schulen werden dort Training zu gewaltfreien Aktion abgehalten. Auch wird das tragen von Masken („Vermummung“) abgelehnt.

in unmittelbarer Nähe von Ni`lin: Werbung zum Kauf eines Siedlerhauses
in unmittelbarer Nähe von Ni`lin: Werbung zum Kauf eines Siedlerhauses

Immer wieder wird von Seiten Israel versucht Kollaborateure (Spitzel) zu gewinnen. Seit Wochen wird sein Bruder von einem (neuen) Kommandanten der israel. Armee angerufen und mit vielfältigen Versprechungen (Arbeit, dauerhaftes Visum, Geld etc.) gelockt. Anderseits wird ihm, sollte er die verdeckten Spitzeldienste ablehnen unverhohlen mit Sanktionen gedroht. Der Bruder will im August heiraten und ist deshalb für die Israelis sicherlich ein „begehrtes“ Zielobjekt.

Die vielfältige Unterstützung aus aller Welt geben Saeed und dem ganzen Dorf viel Motivation, den so ungleichen „Kampf“ für die Beachtung der Menschenrechte, für Freiheit und Gerechtigkeit weiter zu führen. Saeed und die Aktivisten des Volkskomitees wurden in den letzten Monaten von zahlreichen hochrangigen Vertretern anderer Staaten besucht, so war der amerikanische Konsul, Vertreter des französischen und schwedischen Konsulats in seinem Haus. Es gibt

Wandbehang
Wandbehang

Kontakte zu mehr als 40 Parlamentariern aus vielen Ländern, aus Deutschland sind die zwei MdB`s der Linken. Von einer Gruppe aus Italien gab es zuletzt eine Spende über 12.000 €, die für den Aufbau eines Medienzentrum genutzt werden soll, in dem jungen Menschen im Umgang mit Computer, Cameras und andere Medien geschult werden sollen. Leider ist die Unterstützung in Palästina selbst eher gering. Es gäbe so eine Tendenz: „ist nicht meine Stadt, meine Straße, mein Haus und wenn sie dann in dem Zimmer seien hilft keiner mehr!“ Die Menschen in Ramallah wüssten oft nicht was hier in Ni`lin geschieht. Ganz anders sah die Solidarität beim Gaza-Krieg im letzten Sommer aus, da haben alle Palästinenser mit ihren „Brüdern und Schwestern“ mit gelitten und sind massenhaft zu Protestaktionen auf die Straße gegangen.

Nach einer Stunde kam die Familie zum Frühstück zusammen. Saeed hat drei Schwestern und

Saeed mit Mutter u Schwestern
Saeed mit Mutter u Schwestern

vier Brüder. Es gab leckeres frisch gebackenes Brot mit Öl und Zater und Pfefferminztee. Ich glaube alle sind stolz auf Saeed. Für mich ist es wirklich auch erstaunlich wie abgeklärt, wie souverän sich der gerade 23 jährige junge Mann hier in Ni`lin, aber auch bei seinen vielen Vortragsreisen, die ihn schon nach Australien und viele europäischen Staaten geführt hat, verhält. Aber es gibt auch eine Zeit neben dem Einsatz für sein Dorf. Saeed ist ein guter Volleyballer, hat schon in der Landesauswahl gespielt, er spielt auch gerne Fußball und Tischtennis und er liest gerne. Derzeit schreibt er an einem Buch. In ihm will er die Geschehnisse und seine Erlebnisse in und um Ni`lin öffentlich machen. Im November wird Saeed zu seiner Vortragsreise nach Deutschland kommen. Ich habe ihn mit anderen Unterstützer/innen gemeinsam mit Roni Hammermann für den Bremer Friedenspreis 2015 vorgeschlagen. www.dieschwelle.de

naher Osten: gleiche Tradition
naher Osten: gleiche Tradition

Noch etwas fand ich bemerkenswert: auch die Muslime haben die Tradition in dieser Zeit, „wo die Hühner wieder beginnen mehr Eier zu legen“ die Eier kunstvoll zu färben, und ich habe es erst nicht geglaubt…. Saeed kennt und liebt das in unseren Breitengraden an Ostern beliebte „Eier -ditschen“, wo man die Eier gegeneinander schlägt und dessen Ei nicht zerbricht „gewinnt“ das Ei des Anderen.

Leider kam ich zum großen christlichen Event in Beit Jala zu spät. Obwohl in Jerusalem, wegen des Sabbats nur arabische Israelis Auto fahren, war rund um die Altstadt, sicherlich bedingt durch den überaus großen Andrang der orthodoxen Gläubigen zu den „wundersamen“ Vorgänge in der Grabeskirche, ein totales Verkehrschaos, so das ich erst nach 17.00 Uhr in Beit Jala eintraf. Kamal, der Sohn von Faten, begrüßte mich mit „frohe Ostern“ und auf meinen fragenden Blick, angesichts des Zeitpunktes am Ostersamstag, sagte er, „Jesus ist auf erstanden, wir wissen es nur noch nicht, da die Frauen noch nicht am Grab waren und gesehen haben das das Grab leer ist“

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

1 Kommentar

  1. Eine berechtigte Beobachtung. Es fehlt an Zusammenhalt und Solidarität. Leider habe ich diese Beobachtung oft im Nahen Osten bemerkt. Vor allem in Palästina. Würde gerne nachforschen warum und wieso? Die Menschen sind meines Erachtens zu tiefst mit sich selbst und ihre Probleme beschäftigt. Nach meiner letzten Aufenthalt dort, fehlt es an Zusammenhalt in schwierigen Zeiten. Dennoch ich wünschte mir, dass eine friedliche Lösung gefunden wird. Denn die Besatzung hat die soziale und die demokratische Entwicklung über 47 Jahre lang nicht erlaubt. Die Menschen erstarren in ihren Verhalten und verlangen eine Lösung von außen. Es fehlt an Identität. Lg

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