Das Schweigen brechen

Vor einigen Tagen hatte ich die Möglichkeit an einem Gesprächsabend mit Yehuda Shaul dem Gründer der Gruppe ehemaliger israelischer Soldaten „Breaking the Silence“ teil zu nehmen. Yehuda, 31 Jahre alt, war von 2001 bis 2004 -wie alle männlichen Israelis- für drei Jahre beim Militär. (Frauen müssen 2 Jahre) Zuletzt befehligte er 120 Soldaten.

Yehuda Shaul (re)
Yehuda Shaul (re)

Er stammt aus einer eher konservativen („rechten“) Familie. So wohnt seine Schwester beispielsweise auch in einer Siedlung in Palästina. Während seiner Dienstzeit war er 2 Jahre in der Westbank stationiert, davon 14 Monate in Hebron. Sein Lebensplan vor der Militärzeit war: erst Kampfsoldat, anschließend ein längerer Besuch bei Verwandten in Kannada, dann „zum Abhängen“ nach Indien und schließlich an der hebräischen Universität jüdische Philosophie studieren. „Normale“ Pläne wir sie viele jungen Leute heute in Israel haben. Hebron habe im jedoch „die Augen geöffnet“ 4-5 Monate vor Ende seiner Dienstzeit begann er seine Militärzeit zu reflektieren „in den Schuhen eines Zivilisten“ Er kam zu dem Ergebnis das 90 % seiner Tätigkeit in der Westbank „keinen Sinn“ geben würde. Er hat dann mit Kammeraden gesprochen die ähnlich fühlten und dachten – das war der Start von „Breaking the Silence“

Die eigene Gesellschaft habe gar keine Ahnung was das Militär „auch in ihrem Namen“ macht. Wir wollten „Hebron nach Tel Aviv bringen“ , wir wollten der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. „Sie soll die moralische Verantwortung übernehmen, keiner soll sagen können er habe es nicht gewußt“

Soldaten in Hebron
Soldaten in Hebron

Es begann im März mit einer Ausstellung mit Reports von 64 Soldaten. Diese Ausstellung wurde von mehr als 7000 Menschen besucht. Sie war „das Thema der Woche“ in Israel. Selbst das Parlament die Knesset beschäftigte sich damit. Auch die Resonanz bei den Soldaten war groß, viele meldeten sich bei der neuen Gruppe um größtenteils anonym zu berichten. „Das hat uns bewegt weiter zu machen“

Die Gruppe hat zwei Schwerpunkte:

  1. Die Dokumentation von Interview mit den Berichten der Soldaten im Alter von 19-Mitte 30. Hier gibt es mittlerweile mehr als 1000 Reports aus dem Zeitraum von 2000-2014. Alle Angaben die anonym bleiben, werden vor der Veröffentlichung überprüft. Und mit den Fakten abgeglichen. Mittlerweile ist eine Sammlung dieser Reports auch in deutscher Sprache in Buchform erschienen.
  2. Es werden Vorträge gemacht, Ausstellungen (so 2012 im Willi-Brandt-Haus der SPD-Zentrale in Berlin). Auch werden Touren in Israel angeboten die an die Orte im Westjordanland führen wo die Soldaten eingesetzt waren. Siehe hierzu auch meinen Blogbericht vom Juni 2013

Dann berichte Yhuda von seinem Einsatz im Westjordanland:

Besatzungs"Alltag" in Hebron Konfrontation zwischen Jugendlichen und dem Militär
Besatzungs“Alltag“ in Hebron
Konfrontation zwischen Jugendlichen und dem Militär

„Unser Konzept ist die Palästinenser die Präsenz des Militärs spüren zu lassen (die Armee ist überall), unsere Macht fühlbar zu machen

der einzige Weg: den Menschen Angst machen, dann den Level erhöhen

tägliche Aufgaben sind Checkpoints und Siedlung bewachen

darüberhinaus am Tag bis zu fünf Hausdurchsuchungen durchführen: ob fünf in einer Stunde, ein Haus (oder fünf) in einem Dorf, fünf Häuser in fünf Dörfern, alles  was wir tun ist beliebig

bei Checkpoints: halten wir jeden fünften an, oder alle gelben oder weißen Autos

Hausdurchsuchungen sind meist Nachts: gehen wir in das haus oder das nächste, sind wir drin dann Frauen rechts Männer links, manchmal machen wir nur Krach oder kommen über die Balkone, oder vom Dach.

Das alles geschieht seit 2000 (Beginn der 2. Intifada): 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Das Konzept ist einfach: jeder Palästinenser soll wissen: hier ist immer Militär, sie sollen sich permanent verfolgt fühlen.

Der Staat will die absolute Kontrolle über die Palästinenser – warum sollte wir das ändern wollen, die Besatzung ist auf lange Zeit angelegt und funktioniert zur Zeit aus Sicht der israelischen Verantwortlichen gut.“

Und dennoch hat Yehuda Hoffnung das die Besatzung endet „das er das noch in seiner Lebenszeit erleben wird. Wer hat 1985 daran geglaubt dass Mandela sechs Jahre später Präsident von Südafrika wird? Oder die Berliner Mauer einstürzt?“

 

Siehe zum Thema auch meine Blog-Berichte vom 30. Juni und 1. Juli 2013

Und die Internetseite von Medico International: http://www.medico.de/themen/menschenrechte/nahost/dokumente/breaking-the-silence/4283/

Sowie ein Beitrag über Yehuda aus dem Jahre 2008 in „Chrismoon“:

http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2008/das-zweite-leben-des-yehuda-shaul-725

 

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

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