In den letzten Jahren habe ich mehrfach über meine Teilnahme am sogenannten „Emmausgang“ am Ostermontag berichtet, zunächst 2017 und zuletzt im Frühling 2018. Bei der Wanderung von Jerusalem nach Qubeibah kommt man beim Verlassen von Jerusalem an dem „verlassenen“ palästinensischen Dorf Lifta vorbei
Nun berichtete aktuell die ARD über die jüngsten Entwicklungen :
Streit um das Geisterdorf Lifta
Stand: 01.08.2021 04:02 Uhr
Neue Bebauungspläne sorgen immer wieder für gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen jüdischen und palästinensischen Israelis. Nun will die Landbehörde das verlassene Dorf Lifta bei Jerusalem bebauen lassen.
Von Benjamin Hammer, ARD-Studio Tel Aviv
Yacoub Odeh steht am Rande des Tals und hat seine Handykamera auf sich gerichtet. Der 81-jährige Palästinenser macht ein Selfie von sich und den Überresten seines Hauses. Drei Stockwerke waren es einmal, zwei davon sind eingestürzt. Sein Vater und er seien in diesem Haus geboren worden, berichtet er und stellt fest: „Das ist doch ein elendes Leben, nur Fotos vom eigenen Haus machen zu können, aber nicht darin zu leben.“
Odeh ist einer der letzten noch lebenden „Liftawis“: Bewohnerinnen und Bewohner des palästinensischen Dorfes Lifta. Im israelischen Unabhängigkeitskrieg 1947/48 flohen die Einwohner oder wurden vertrieben. Einst standen in Lifta hier etwa 400 Häuser. Heute sind es noch 50. Große Fenster und Balkone zeugen davon, dass Lifta ein recht wohlhabendes Dorf war.
Odeh war acht Jahre alt, als er dieses Dorf verlassen musste, aber er erinnert sich an das Familienleben in dem Haus, sagt, er habe noch den Geruch des selbstgebackenen Brotes in der Nase – wie Könige seien sie damals in dem Dorf gewesen.
Lifta ist ein wunderschöner Ort: Seit Jahrhunderten liegt das Dorf am westlichen Zugang zu Jerusalem in einem Tal mit steilen Hängen. Oben verläuft die Autobahn nach Tel Aviv. Die Häuser sind aus hellen, gelblichen Steinen gefertigt. Lifta ist einzigartig in der Region: Ein größeres leeres palästinensisches Dorf, das noch steht. An manchen Stellen wirkt es, als hätten es die Bewohner erst gestern verlassen. An anderen Orten dominieren mittlerweile Sträucher, Gräser und Kakteen.
Seltener Leerstand – noch
Laut den Vereinten Nationen mussten um 1948 herum 700.000 Palästinenser fliehen oder wurden von israelischen Truppen vertrieben. Odeh lebt heute in einem Mehrfamilienhaus in Ost-Jerusalem. Er weiß, dass die Chancen gering sind, dass er nach Lifta zurückkehren darf. Er akzeptiert das.
Was er nicht akzeptieren will, sind die Pläne der israelischen Landbehörde. Die will laut israelischen Medien in diesen Tagen ein Projekt für Lifta ausschreiben: Etwa 250 Gebäude sollen entstehen, Villen, Hotels, Restaurants, Straßen. Das, sagt Odeh, sei, als wolle man ihre Geschichte auslöschen – dazu habe niemand das Recht.
Eine Anfrage an die israelische Landbehörde blieb unbeantwortet. Gegenüber israelischen Medien verteidigt die Behörde aber ihre Pläne: Für Besucher sei es gefährlich, Lifta zu betreten. Die Gebäude seien einsturzgefährdet. Ihre Instandhaltung könne nur im Rahmen eines Projektes für neue Häuser und Hotels finanziert werden.
Ein Hotel gibt es schon
Im oberen Teil des Tals liegt das Lifta-Boutique-Hotel. Aus kleinen Lautsprechern kommt das, was man Lounge-Musik nennt. Sechs Suiten, ein Pool und eine Sauna. Dazu ein spektakulärer Blick auf das Dorf. Eine Nacht kostet hier etwa 900 Euro pro Doppelzimmer.
Das Hotel gehört Yoni Yochanan, einem jüdischen Israeli. Odeh nennt Yochanan einen Dieb. Er kennt die ursprünglichen palästinensischen Besitzer des Gebäudes. Der Israeli Yochanan weist den Vorwurf zurück. Auch er stammt aus einer Familie, die flüchten musste. Er verstehe den Schmerz der Menschen, die Lifta verlassen mussten – schließlich verstehe er auch den Schmerz seiner Eltern, die in Kurdistan alles zurücklassen mussten. 1951 seien sie hierhin gekommen und angesiedelt worden. „Lifta ist für mich Kindheit und einfach alles“, sagt Yochanan.
Auch Yochanan wurde in Lifta geboren, auch er verlor sein Haus, das einer Straße weichen musste. Anschließend kaufte der Israeli einer Stiftung ein anderes Gebäude in Lifta ab und eröffnete das Hotel.
Laut israelischem Recht haben palästinensische Flüchtlinge, die ihre Häuser verließen, alle Ansprüche verwirkt. Die Zeit lasse sich nicht mehr zurückdrehen, so sieht es Yochanan. Er spricht sich aber dafür aus, dass Palästinenser wie Odeh vom Staat eine Entschädigung erhalten. Den Plan der israelischen Behörde, ganz Lifta zu bebauen, lehnt aber auch er ab. Der Zauber der Ortes werde verfliegen, sollte es hier ein Straßennetz und Autoverkehr geben. „Und wofür? Für 200 Wohneinheiten? Diese Häuser gehen an die Reichen und dafür verschwindet die Geschichte.“
Stadt gegen Behörde
Und Liftas Geschichte geht sehr weit zurück. Zur Zeit des zweiten jüdischen Tempels lebten hier wahrscheinlich Juden, später Kreuzfahrer, Osmanen und Palästinenser. Das Dorf steht für Flucht, Vertreibung und Kriege.
Es steht aber auch für eine mögliche Einheit von Arabern und Juden. Seit Jahren engagieren sich manche von ihnen gemeinsam in „Save Lifta“. Die Organisation hat mit dafür gesorgt, dass Lifta von der UNESCO auf eine Liste möglicher Weltkulturerbestätten gesetzt wurde. Dieses Erbe aller Menschen, sagt der jüdische Israeli und Historiker Ilan Shtayer, sei doch ein weiteres Argument, sich diesen Ort genauer anzuschauen.
Aktuell scheint es möglich, dass zumindest die Stadt Jerusalem diesen Argumenten teilweise folgen wird. Sie unterstützt die Pläne der israelischen Landbehörde bisher nicht. Das einzigartige Lifta könnte in seiner aktuellen Form erhalten bleiben.
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