Fatima: „Ein Land ohne Kontrollen“

Heute hatte ich mich mit Fatima (im Magdolin) in ihrem Heimatort Zaatara im Westjordanland verabredet. Die „erfahrene“ Leser/innenschaft meines Blog kennt diese wunderbare Frau, die ich 2014 kennengelernt habe, aus einer Vielzahl von Berichten in diesem Blog. 

Kaum hatte ich das Klostergelände verlassen, sprach mich ein Mann an und wollte wissen, wie spät es sei. Ich wies auf die gut sichtbare Turmuhr der Dormitio-Abtei. Er ließ mich verstehen, dass er auf diese Uhr nicht schauen möge. Er hat das nicht begründet, ich habe aber auch nicht nachgefragt, vermutete aber aus religiösen Gründen. Er fragte mich dann wo ich herkäme und als er hörte aus Germany berichtete er das seine Großeltern und Eltern in Bochum gelebt haben. Sie sind dann nach Polen „gegangen“ (ich vermute im Rahmen der Judenverfolgung dorthin verbracht worden. Seine Eltern seien später nach Israel ausgewandert, er ist hier in Jerusalem geboren.

Turmuhr

Ich hatte mich mit Fatima an der Geburtskirche in Bethlehem verabredet.

Es gibt zwei Möglichkeiten dorthin zu gelangen. Mit dem palästinensischen Bus über den Straßencheckpoint, durch Beit Jala nach Bethlehem oder (diese Variante habe ich heute gewählt) mit dem palästinensischen Bus 2344 bis zum Checkpoint 2000. Im verlauf der letzten jahre sind die Busse immer moderner geworden, auch gibt es zahlreiche Haltestellen wo sich die Busse der palästinensischen und  der Jerusalemer Verkehrsbetriebe treffen. Israelischen.

vor der Mauer

Ich hatte mich für diesen Weg vor allem deshalb entschieden, weil ich mal wieder die „sinnliche“ Erfahrung machen wollte, zu Fuß durch den Checkpoint zu gehen. Man muss allerdings sagen, dass der Weg von (West-) Jerusalem ins Westjordanland normalerweise relativ einfach ist. Man wird nicht kontrolliert, geht durch 3-4 Drehkreuze und schon ist man auf „der anderen Seite“. Will man aber nach Israel (Jerusalem) hinein, gerade beim großen Andrang der palästinensischen Arbeitskräfte am frühen Morgen, kann es schon mal eine Stunde und mehr dauern, Interessant fand ich, dass an der Stelle wo man in das Gebäude der Grenzanlage geht, um nach Bethlehem zu kommen, ein Schild mit der Aufschrift „Exit“ steht, Ausgang aus Israel also.

auf der anderen Seite

„Draußen“ wird man dann von zahlreichen geschäftstüchtigen Taxifahrern „überfallen“ die gerade bei einer einzelnen Person ihr Geschäft wittern. Nicht nur die Orte in Bethlehem, wohin der Tourist so hinzugehen hat werden angepriesen, auch ein Trip nach Hebron oder auch zum Toten Meer ist im „Programm“. Auch wenn ich abwehre, weil ich zu Fuß gehen möchte und kein Interesse an einer Besichtigung habe geben sie keine Ruhe.

Ich denke dass sie alle dringend eine Fahrt brauchen um „über die Runde“ zu kommen.  An der Mauer rund um das „Wallad off Hotel“, von dem ich schon häufiger berichtet habe, sind wieder viele neue, oft sehr witzige Graffiti angebracht. Mir gefiel das besonders gut, welches Bezug nimmt zu den Plänen des US-Präsidenten, an der Grenze zu Mexiko auch eine Mauer bauen zu lassen.

Ich habe mich der Geburtskirche durch den schönen Bazar genähert, in dem sich im Übrigen wenig Touristen „verirren“. Es ist schon interessant auf die vielen Kartons mit Waren zu schauen, die vo den Geschäften gestapelt sind. Viele kommen aus China, aber ich sah auch solche mit Reis aus Indonesien, Nüsse aus Kalifornien, aber auch Hähnchen aus dem heimischen Ramallah.

großer Weihnachtsbaum vor der Geburtskirche

Auf dem Krippenplatz vor der Geburtskirche sind die Vorbereitungen für das Weihnachtsfest in vollem Gange. Der große Weihnachtsbaum steht schon, zahlreiche Lichterketten wurden gerade angebracht.

Auf der Fahrt mit Fatima zu ihrem Haus nahm ich wieder schmerzlich die unglaubliche Verschmutzung war ,mit der man überall in Palästina konfrontiert wird. Überall liegt Plastik und sonstigem Abfall am Straßenrand und keinen scheint es zu kümmern. Das habe ich bei meiner reise durch den Iran gänzlich anders erlebt. Dort herrschte Sauberkeit im ganzen Land. Ich sprach darüber mit Fatima. Sie meinte spontan: Wir leben in einem Land ohne Kontrolle. Nicht alles ist Israel schuld. Unsere Regierung kann wegen der Besatzung nicht viel machen, was sie aber machen könnte, tut sie nicht. Bespiel: für Sauberkeit im Land zu sorgen. Sie nannte noch ein anderes Beispiel das zeigt, was gerade in den C-gebieten, wo es keine Polizei gibt (weder israelische noch palästinensische) so alles passiert. Da fahren Vielen, oft auch Minderjährige ohne Führerschein, mit Autos, die für billiges Geld in Israel gekauft werden. Diese (illegalen) Fahrzeuge haben weder Versicherung noch sind sie technisch zugelassen. Häufig komme es zu Unfällen oft mit Verletzten und auch Toten. Und es kümmert scheinbar keinen.

immer wieder berauschend anzuschauen:
die judäische Wüste direkt hinter dem Haus von Fatima

Als mich Fatima zurück nach Bethlehem zum Bus bringen wollte, hielten wir noch in Zaatara bei einer jungen Frau mit einem Kind an. Die Frau war mit einer kleinen Schafsherde unterwegs. Fatima ist ausgestiegen und hat mit der Frau gesprochen. Sie bat mich von der Frau und dem Kind ein Foto zu machen. Auf der fahrt nach Bethlehem erzählte sie mir die Geschichte der Frau. Sie ist die (Zweit-) Frau des Sohnes ihrer Schwester, also die Frau ihres Neffen. Dieser hat bereit mit seiner ersten Frau 3 Kinder und nun mit dieser Frau ein Kind, mit dem 2. ist sie (sichtbar) schwanger. So weit aber eben nicht so gut. Ich hatte ja schon häufiger von Ehen mit einer zweiten oder sogar dritten Frau gehört. In diesem Fall aber aber gibt es eine (für mich) unglaubliche Geschichte. Die erste Frau lehnt diese (2.) Frau ab, droht dem Mann ihn zu verlassen. Das hat zur Folge, dass diese (zweite) Frau, aber wohl auch ihr das Kind, vom Neffen von Fatima oft misshandelt wird.

Sie ist sich selbst überlassen, nur ganz selten kommt der Mann zu ihr. Er zwingt sie jeden Tag mit den Schafen zu gehen, das Kind muss auch dabei sein. Wenn Fatima ihre Schwester anspricht, die im Übrigen dieses Enkelkind noch kein Mal gesehen hat, ist dies „nur beleidigt“. Fatima und ihre anderen Geschwister, versuchen dieser Frau zu helfen, haben auch schon Geld gesammelt, müssen es ihr, wie auch Verpflegung, immer heimlich zustecken, da sonst gewalttätige Reaktionen des Vaters gegenüber Frau und Kind befürchtet werden.

hilflose Fatima
bedauernswertes Schicksal von Mutter und Kind

Meine erste Reaktion, sie soll sich von diesem Mann trennen, greift wohl aber aber nicht. Die Frau stammt aus einer ganz armen Familie, zu der kann sie nicht zurück. Alleine leben geht hier nicht. Jetzt hofft sie das 2. Kind ein Junge wird, der für ihre Zukunft bessere Aussichten verspricht, so Fatima. Ich hatte ich mal davon gehört, dass es in dieser Region so etwas wie ein Frauenhaus gäbe. Ich werde mich erkundigen und ggf. Fatima diesen Tipp noch übermittel.

Ich schreibe ja oft von den schwierigen Verhältnissen, die durch die israelische Besatzung für die palästinensische Bevölkerung hervorgerufen wird. Dabei wird leicht vergessen, dass es hier, wie in vielen anderen arabischen Staaten auch, gerade für die Frauen oft ganz andere, wie ich finde, schlimme und erniedrigende Probleme gibt.

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

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