Vertreibung auf dem Golan 1967 gleicht der NAKBA

Für die neuen Leser:innen meines Blogs eine Vorab-Information:
da sich die Gruppenreisen mit ihrem Programm ähneln, schreibe ich nicht immer die gleichen Erlebnisberichte sondern suche mit jeweils ein (neues, ggf. aktuelles) Schwerpunktthema aus, dass ich dann in dem Mittelpunkt meines Tagesberichtes stelle. Auf andere Themen/Schwerpukte, die ich bereits schon mal bei früheren reisen beschrieben habe, verweise ich mit einem Link oder mache Stichworte die dann zum Schluss des Tagesbeitrages genannt und dann auch jeweils angeklickt werden können

Heute hat die Gruppe an ihrem ersten Tag (wie bei meinen Begegnungsreisen üblich) zunächst, bei im Übrigen frühlingshaften Temperaturen, eine schöne ruhige Stunde in einem Holzboot (mit leisem Elektromotor) auf dem See verbracht. Es ist einfach ein wunderbares, ja alle Sinne berührendes Gefühl, in dieser herrlichen Landschaft auf diesem geschichtsträchtigen See still eine zeit zu verbringen. Es gibt für mich wenig Orte und eben auch Gelegenheiten, hier in dieser, oft durch Touristen überlaufenden Region, zur Ruhe und Besinnung zu kommen. Die Gruppe hat es genossen.

Anschließend haben wir uns auf eine etwa zwei stündige Fahrt auf den Golan gemacht. Hier wollten wir an der syrischen Grenze Mitglieder der NGO 
Al Marsad treffen  Es ist eine herrliche Landschaft, gerade jetzt im Frühling die uns auf dem Weg dorthin begleitete. Dieses Mal berichtete uns ein Mitglied der Gruppe Al Marsad, Nazeh Brik, ausführlich über die Hintergründe die zur Gründung dieser Menschenrechtsorganisation geführt hat, die im Übrigen u.a. auch von Misereor finanziell unterstützt wird. Da Nazeh lange in Deutschland gearbeitet hat, konnte er uns die sehr differenzierten Infos gut in unserer Sprache erklären. Bekanntermaßen wurde im Juni 1967 im „sechs Tage-Krieg“ der Golan von den israelischen Truppen besetzt. Die in über 300 Dörfern lebende syrische Bevölkerung (etwa 140.000) wurde vertrieben (die meisten flüchteten nach Syrien). Die Dörfer wurden zerstört, so dass eine Rückkehr ausgeschlossen war. Die strategische Überlegung der israelischen Regierung hatte Ziel, möglichst nur noch die drusische Bevölkerung dort oben auf dem Golan anzusiedeln. Gleichzeitig wurden viele Anstrengungen unternommen dort oben israelische Siedlungen zu gründen. Heute im Jahr 2023 stellt sich die Situation wie folgt da: Der besetzte Golan wurde Anfang der achtziger Jahre durch annektiert. Es gibt nur noch 5 Dörfer in denen 28.000 Drusen leben und mittlerweile 35 Siedlungen mit etwa 29.000 jüdischen Bewohner:innen. 85 % der arabischen Bevölkerung hat es abgelehnt die israelische Staatsangehörigkeit anzunehmen: sie gelten als „staatenlos“. Es ist für diese Bevölkerungsgruppe schwierig, bis unmöglich eine Baugenehmigung zu erhalten. Zwischen 2012 und 2021 mussten 9 Mio Schekel wegen nicht Beachtung der Baugenehmigung an Strafe gezahlt werden. Anders als in den C-Gebieten im Westjordanland, die ja unter israelischer Militärverwaltung stehen, und wo häufig bei der meist fehlenden Baugenehmigung ein Abriss erfolgt, scheut sich die israelische Verwaltung, solche Maßnahmen auch auf dem Golan zu ergreifen. Ein Grund ist auch, dass sich die sonstigen in Israel lebenden Drusen, bei solchen Zwangsmaßnahmen, mit ihren Glaubensbrüdern solidarisieren würden. Im Übrigen glaubt Nazeh Brig, dass der wahre Grund der Besetzung und jetzt Annektierung dieser Region nicht die Sicherheit der israelischen Bevölkerung am See war, sondern die Möglichkeit dort am Goian den Zugriff zu vielen Wasserquellen zu bekommen.

Zum Abschluss des Tages waren wir noch in Tagba wo uns Pater Jonas über das Leben in dem „Paradies“ am See berichtete

Tageszitat aus „Recht ströme wie Wasser“

Der Ort an dem wir recht haben

An dem Ort, an dem wir recht haben, 

werden niemals Blumen wachsen

im Frühjahr.

Der Ort, an dem wir recht haben,

ist zertrampelt und hart

wie ein Hof.

Zweifel und Liebe aber

Lockern die Welt auf

Wie ein Maulwurf, wie ein Pflug.

Und ein Flüstern wird hörbar

An dem Ort, wo das Haus stand,

das zerstört wurde.  (Jehuda Amichai)

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

1 Kommentar

  1. Lieber Marius,
    Es freut mich dass die Gruppe gut angekommen ist. Der Norden ist die Heimat einer islamischen Gemeinde (die Drusen).Ethnologisch sind diese eine Urarabische Volksgruppe.
    (Bani Maroof). Kamen ursprünglich aus der Halbinsel und lebten im Süden Syrien, Berg Lebanon und Nordjordanien sowie in Galiläa. Sie gehören dem schiitischen Islam.
    Wichtig zu wissen, dass die Drüsen den Aufstand gegen Frankreich organisiert haben. Sie sind eine politische Elite in der Region.
    Die wichtigste Persönlichkeit unter uns war Samih- Al-Qasem
    Vergleichbar mit Günter Grass. Ein humanistische Poet.
    Starb vor ca. 2 Jahren und ist in seinem Dorf begraben in Al-Rama (Gällilia)
    Vielleicht schaffst du es vorbei zu fahren und die Stadt Safad oder Siffodim zu besuchen.
    Im Lebanon sind die Drüsen im Parlament beteiligt.
    Im Mittelalter attackierte deren Khalif die christlichen Pilger und war Mitverantwortlich für die Kreuzfahrten ins Heilige Land .
    Eine nicht uninteressante Geschichte.

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