„Wir fragen nicht was braucht ihr, sondern was könnt ihr?

Traditionell fahre ich mit meinen Guppen am 2. Tag unserer Begegnungsreise nach Nazareth. Nazareth ist die größte arabische Stadt in Israel mit nahezu 90.000 Einwohnern. Hier leben wegen der besonderen christlichen Bedeutung (Maria soll hier durch den Erzengel Gabriel die Geburt Jesu verkündet worden sein) die meisten arabischen Christen Israels. War früher die Mehrheit der Einwohner christlichen Glaubens, so sind heute mehr als zweidrittel Muslime.
Natürlich haben wir die „Verkündigungs-Kirche“ besucht, das größte christliche Gotteshaus im Nahen Osten. Wir hatten aber uns mit Nabila Espanioly verabredet, der Leiterin des Frauenprojektes „Al-Tufula“.  Ich hatte sie bereits 2014 mit meiner Gruppe besucht. Hier kann nachgelesen werden welche Zielsetzung sich dieser Verein gegeben hat und warum Nabila 2003 gemeinsam mit Reuven Moskovitz den Aachener Friedenspreis bekommen hat.

Nabile Espaniolya
Nabile Espanioly

Nabele war gerade mit einer Delegation arabischer Abgeordneter in Deutschland und hast dort mit allen maßgeblichen Abgeordneten des Bundestages und Vertretern des Kanzleramtes gesprochen. Vor zwei Jahren hatte Nabila gesagt, dass sie zur Hälfte der Legistratur als Abgeordnete der arabischen Linken ins israelische Parlament, der Knesset „nachrücken“ würde. Daraus ist nun nichts geworden, da der Ministerpräsident Netanjahu Neuwahlen 2015 vorgezogen hatte und ihre Partei eine andere Abgeordnete ins Parlament gewählt hat. Insgesamt bilden die arabischen Abgeordneten, Dank einer gemeinsamen Liste, die dritt stärkste Kraft im Parlament. Sie verstehen sich vor allem als Vertretung der fast 20% Arabischen Bevölkerung in Israel, die so Nabila, nach wie vor in vielen Bereichen benachteiligt wird.

Nabile hat früh gelernt, dass sie sich zur Einforderung der gleichen Rechte wie sie die jüdischen Mitbürger haben vernetzen muss. Ihre Mutter habe einmal gesagt als sie über die Ungerechtigkeit klagte: „wer weint, weint allein“. Deshalb habe sie sich früh vernetzt, Gleichgesinnte gesucht. Ein Ergebnis dieser Entwicklung war auch die Gründung des Frauenprojektes. Jetzt, nach mehr als 20 Jahren des Bestehens des Vereines können viele Erfolge durch die Arbeit mir den Frauengruppen festgestellt werden. In den letzten Jahren wird, ebenso erfolgreich, mit jüdischen Frauengruppen gearbeitet

Der Ausgangspunkt der Projekte sei immer der, das eben nicht nach den Bedürfnissen der Frauen gefragt wird sondern nach den Fähigkeiten, nach ihrem Können. Oft ist den Frauen gar nicht bewusst welche Leistungen sie tagtäglich erbringen, erbringen müssen, ohne diese Leistungen oft das Familienleben gar nicht möglich ist. Ist dieses Bewusstsein erst geschaffen, dann werden die Frauen mutiger, selbst bewusster. Gerade hat eine Gruppe von Frauen in einem Dorf eine Straße gebaut: jede Nacht – damit die Männer es nicht mitbekommen- wurde ein kleines Stück errichtet, bis die erste Straße im Dorf geschaffen war. Viele Frauen in den Projekten wurden so motiviert, die Schule abzuschließen, ein Studium zu beginnen. Viele der Ehemaligen kommen jetzt zu den neuen Kursen um ihre Erfahrungen den Projektteilnehmerinnen zu vermitteln.

Straßenbild In Nazareth: christlich-arabische Vielfalt
Straßenbild In Nazareth:
christlich-arabische Vielfalt

Neben diesen Empowermentkursen, die zum Ziel haben die eigenen Stärken der Frauen zu nutzen, hat der Verein auch Kinderkrippen und Kursangebote für Frauen zur Qualifizierung als Erzieherinnen und erstellt Materialien für die frühkindliche Erziehung.
Die Mitglieder unserer Gruppe waren beeindruckt von dem ausdauernden Engagement, dass sich in den Worten von Nabile spürbar widerspiegelte. Im März 2011 wurde Nabile von der Organisation „Women deliver“ als eine von 100 Frauen weltweit genannt, die sich für die Gesundheit und Gleichberechtigung von Frauen einsetzen.
Wie schon vor 2 Jahren rief uns Nabele zum Schluss des Gespräches auf, dass wir in Deutschland für Unterstützung ihrer Arbeit und Ziele werben sollen. Aber auch mit Blick auf die Zukunft: „Hoffnungslosigkeit ist ein Privileg das wir uns nicht leisten können, denn am Ende muss es eine Lösung geben“

Gut  zu dieser „Frauenpower“ passt der aktuelle Bericht über den Marsch der Frauen hier in Israel den ich unter Gastbeiträge eingestellt habe. Eigentlich sehr schade, dass bei uns in Deutschland solche hoffnungsvolle Meldungen nicht erscheinen.

Zum Nachmittag hat die Gruppe sich dann noch in der Nähe des See Genezareth auf ein Teilstück des „Jesus-Trail`s“ begeben. Der Weg wurde vor einigen Jahren angelegt (aus bestehenden Pfaden und Feldwegen). Er verbindet Nazareth mit dem See Genezareth auf einer Strecke von 62 km die in 4-5 Tagesetappen gegangen werden kann.

auf dem Jesus-Trail
auf dem Jesus-Trail

Zum Abend hatten wir dann noch ein Gespräch mit einem Mitglied unseres Kibbuzes wo wir erfüfren das dieser Kibbuz zu den noch 10 % gehört die wirklich noch – wie ursprünglich alle Kibbuze- „sozialistisch“ geprägt ist. Alle arbeiten – ob im Kibbuz oder außerhalb- und geben ihren verdienst an den Kibbuz. Jeder bekommt im Monat 4000 Schekel (etwa 1000 €)„Taschengeld“, als allein lebender 6.000 Schekel. Jeder bekommt ein Haus gestellt, Kinderbetreuung, Schule alles kostenlos. Frühstück und Mittagessen können die Bewohner (derzeit leben hier 300 Kibbuz-Mitglieder und weitere 400 Familienangehörige) zu sehr günstigen Preisen in der Kibbuz-Kantine erwerben. In dem Kibbuz ist eine Firma die Kunststoffrohre für Fußbodenheizungen erstellt.

Das Geschäft läuft so toll, dass sich die Mitglieder des Kibbuzes vor Jahren entschlossen haben mit der Firma an die Börse zu gehen. Alle Mitglieder sind an den Aktien beteiligt und bekommen jährlich eine Dividende von bis zu 30.000 Schekel. Nurit, unsere Gesprächspartnerin, ist sehr glücklich mit der Situation, glaubt aber nicht, dass sich dieses sozialistische System (alles gehört allen) noch lange halten wird. „Es fehlt uns an Nachwuchs“, ihre vier Kinder leben alle außerhalb des Kibbuz.

Eine interessantes Detail am Rande: die Mitglieder des Kibbuz unter stützen die Peace Now- Bewegung in Israel

obwohl fast November: Blumenpracht im Kibbuz wie bei uns im Frühling
obwohl fast November: Blumenpracht im Kibbuz wie bei uns im Frühling

 

 

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.