Amjad Mitri: „Es geht nicht um pro Israel oder pro Palästina, es geht mir immer um pro Menschenrechte“

Heute an unserem Letzten Tag hatten wir noch einmal ein randvolles Programm.

Zunächst haben wir früh am Morgen um 9:00 Uhr in Beit Sahur, im dortigen „Singer Cafe“ (ich habe über das Cafe schon im April 2018 berichtet), Amjad Mitri getroffen. Amjad arbeitet seit 2011 für die älteste Menschenrechtsorganisation in Palästina (Amjad meint, vielleicht in der ganzen arabischen Welt), Al Haq das in diesem Jahr sein 40 jähriges Bestehen begeht. Amjad ist Palästinenser, in Deutschland geboren, lebt seit 2011 mit seiner Familie in Beit Sahur, der Heimatstadt seines Vaters. Er ist Jurist mit dem Schwerpunkt internationales recht.

Lange Jahre hat er in einem Büro in Ramallah gearbeitet. Die komplizierte tägliche Anfahrt, durch jeweils 2 Checkpoints auf der Hin- und Rückfahrt zum Büro, haben ihm zu „zermürbt“, dass er mittlerweile die Möglichkeit hat, in seinem Wohnort Beit Sahur in einem Büro zu arbeiten.

Amjad Mitri mit einem Reiseteilnehmer

Insgesamt ist die Situation aus seinem Erleben beurteilt in den letzten 8 Jahren di er in Palästina ist immer schlimmer geworden. Große Ratlosigkeit, Perspektivlosigkeit und letztlich Hoffnungslosigkeit hat sich im großen Teilen der Bevölkerung breit gemacht. Das vorhanden sein der Familie macht die eigene Situation erträglich und schwierig zu gleich. Permanent stellt man sich die Frage der Zukunft: sollen wir bleiben oder wieder nach Deutschland oder den Niederlanden (die Heimat seiner Frau) gehen. Amjad weiß, das für die meisten Palästinenser eben nicht diese Möglichkeiten bestehen.

Im Zusammenhang mit den Kinderrechten, die weltweit gelten sollten, erklärte er uns die Situation der Minderjährigen, die vom israelischen Militär in den Nachtstunden aus den Familien geholt werden. 

Oft werden in diesen Angelegenheiten Vergleiche vereinbart. Die Eltern wollen, dass ihre Kinder möglichst schnell das Gefängnis verlassen, also stimmen sie dem Bergleich zu. Das hat aber zur Folge, dass mit dem Vergleich zugegeben wird, das Steine geschmissen worden sind (obwohl es oft gar nicht stimmt). Werden diese Kinder dann noch einmal festgenommen, gelten sie als „Wiederholungstäter.“

Amjad berichtete von Familien, wo immer die Koffer gepackt seien, ad eine Inhaftierung befürchtet wird. Kinder schlafen schlecht oder machen noch in älteren Jahrgängen „in die Hose“. Vor Gericht hat man oft den Eindruck aus einem „Viehmarkt“ zu sein, es geht da vieles durcheinander, es ist laut, Namen werden durch die Gänge geschrien….

die Wüste hat ein grünes Frühlingskleid angelegt

Die israelische Menschenrechtsorganisation B`Tselem, mit der Al Haq oft zusammenarbeitet, hat es seit einiger Zeit abgelehnt mit den Zivil und dem Militärgerichten zusammen zuarbeiten, da diese Gerichte „nicht fair und rechtstaatlich seien“. Ist in der Vergangenheit mal ein Fall im Sinne der Verteidigung entschieden worden, hat die Knesset (israel. Parlament) das bestehende Gesetz geändert und damit die „Gesetzeslücke“ geschlossen.

Wir sprachen auch über die Aktivitäten beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Palästina ist seit 2016 dort vollwertiges Mitglied. Gründe um dort vorstellig zu werden und Anklage zu erheben sind Apartheid, Verstoß gegen die Menschenrechte und bei Kriegsverbrechen. Palästina hat u. a. den Siedlungsbau dort vorgetragen. Derzeit ist es in der „Klärungsphase“ ob das Gericht eine Anklage erhebt. Aus Sicht von Amjad ist die „ein klarer Fall“, ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Er sieht für Israel nur zwei Gründe die genannt werden könnten, aber eben nicht zu treffen:

  1. Die Siedlungen sind auf unserem Gebiet gebaut und die Sicherheit unserer Bevölkerung ist gefährdet.
  2. Die Menschen sind deshalb möglicherweise gefährdet weil sie in den Siedlungen leben, Israel schützt sie, in dem es noch mehr Land den Palästinensern weggenommen wird. Der Siedlungsbau führt auch dazu, dass es immer weniger Platz für die Palästinenser gibt. Die Städte können nur nach innen wachsen, da an den Rändern sich die Siedlungen befinden. Dies führt zu einer massiven Verdichtung des städtischen Wohnungsbaus mit allen negativen Konsequenzen für die allgemeine Infrastruktur 

Zum Schluss unseres 1 ½ stündigen Gespräches erklärte Amjad, dass In 50 Jahren Besatzung ein System aufgebaut worden ist dass sich in jeden einzelnen Lebensbereich der Menschen hier einmischt: kulturell, sozial, wirtschaftlich politisch. 

Mehr als 100 Genehmigungen hat Israel für die Palästinenser entwickelt und so die vollständige Kontrolle über die Menschen erreicht.

Kloster Ma Saba

Die Palästinenser haben in den letzten 50 Jahren alles probiert: Bewaffneter Wiederstand, Terrorakte, ziviler Ungehorsam, alles hat nichts gebracht.

Die Vereinbarung durch die „Oslo-Verträge“ sind in den Augen von Amjad so etwas wie ein Mietvertrag: Israel ist der Vermieter, Palästina der Mieter mit wenig Rechten und viel Pflichten. Die palästinensische Autonomiebehörde hat letztlich keine Autonomie. Amjad erzählte uns von der Bestimmung, dass, wenn ein Kind geboren wird, es bei den Israelis registriert werden muss und nur so seinen rechtlichen Status erhält.

Amjad möchte das Israel genauso behandelt werden soll, wie jeder andere Staat, nicht besser und nicht schlechter.  Es müssen die internationalen Standards der Menschenrechte beachtet werden:

Es geht für Amjad nicht um pro Israel oder pro Palästina, ihm geht es immer um Pro Menschenrecht

Und trotzdem…so Amjad beim Verlassen des Cafes: wenn man hier mit den Menschen lebt erlebt man, es passiert viel trotz der großen Hoffnungslosigkeit.

Es wird viel gelacht, getanzt, gefeiert.

das tiefe Kidrontal

Nachdem Gespräch haben wir uns in die judäische Wüste begeben und dort bei Beit Sahur das griechisch-orthodoxe Kloster Ma Saba angesehen. Anschließend hatte die Gruppe etwas Zeit einige Schritte alleine in die Wüste zu gehen und so die Wüste ein wenig sinnlich aufzunehmen und damit ein wenig „Wüstenerfahrung“ zu sammeln.

Zum Mittag haben wir Fatima in ihrem Haus in Zatara besucht, die uns ein schmackhaftes Mittagessen bereitet hatte. Es ist für mich immer wieder schön zu erleben, wie Fatima, in nur ganz kurzer Zeit, die Menschen die sie trifft, mit ihrer klaren und doch so einfachen Worten, beeindruckt.

Am späten Nachmittag hat die Gruppe dann noch einen Blick in die Geburtskirche geworfen und auch das Kinderheim „Le Chreche“ besucht.

Den Leser, die Leserin darf ich bitten für mehr Informationen zu Fatima und „Le Chreche“ die Links am Anfang dieses Tagesberichtes zu klicken.

bei Fatima

Den Tag haben wir mit einem leckeren arabischen Essen in einem Bethlehemer Restaurant beschlossen zu dem wir auch Faten Mukarker und Daoud und Jihan Nassar eingeladen hatten

Tageszitat aus „Recht ströme wie Wasser“

Wollt ihr Juden und Christen mit uns über Gott streiten? 

Es ist doch unser und euer Herr. Uns kommen unsere Werke zu und  euch die eurigen.  (Sure 2, 139)

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

1 Kommentar

  1. Ich Stimme Amjad zu. Es ist in Palästina wie im Warschauer Getto für die Juden geworden. Mann muss für Reisen nach Jerusalem eine Erlaubnis beim Militär beantragen.Mann benötigt eine Erlaubnis um ins Spital nach Israel zu gehen. Unser Leben dreht sich um Erlaubnis und Passierscheine in und aus dem Land. Es ist in der Tat hoffnungslos. Die Fatah Regierung (nenne ich so) ist nur da um die Bedürfnisse der Besatzung zu legalisieren. Diese arbeitet Hand in Hand in Sicherheitsfragen. D.h Sie verhaften und geben weiter an Israel.!! Machtgierig und naiv .Blockierend sitz Abbas und seine Organisation die mich an die Kommunisten in der UdSSR erinnert. Das höchste Instanz wird per Befehl aufgelöst. Das Volk ist beschäftigt bei der AP und kann sich nicht dagegen erheben. Wir benötigen Freiheit von Meinung und freie Wahlen.
    Israel wird sich nie zurückziehen aus Judäa und Sammaria. Das ist das s.g Vaterland.
    Unser Kampf soll sich auf zivile Rechte fokussieren.

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