Besatzung bedeutet auch Militärgerichtsbarkeit

Ich hatte sie schon öfters gesehen, die goldenen Türme der russischen Kirche, ganz zentral in Jerusalem, nahe dem Rathaus und der Hauptgeschäftsstraße Yaffo.

Erst gestern, durch den einen Hinweis von Roni Hammermann, wurde mir bekannt, was sich sonst noch in unmittelbarer Nähe dieser schmucken russischen Kirche (Roni sagt am „Russenplatz“) befindet:

das Polizeigefängnis von Jerusalem.

mitten in Jerusalem: das Polizeigefängnis

Hier werden auch viele junge Palästinenser, die oft in nächtlichen Polizeiaktionen aus ihren Häusern geholt werden, hingebracht. Roni nennt es „Einkaufslisten“ nach denen in den nächtlichen Aktionen, jungen Menschen aus den palästinensischen Häusern geholt würden. Die Namen auf den Listen werden oft durch erzwungene Verhöre aufgefüllt. Junge Menschen, die verhaftet werden, nennen oft unter Zwang die Namen ihrer Freunde, um so den Druck der Verhöre, denen sie schutzlos ausgeliefert sind, zu beenden.

Gerhard Horton, Anwalt der Menschenrechtsgruppe Military Court Watch   sagt in einem Interview:

„Am stärksten traumatisierend sind meist die Festnahme, der Transport und das Verhör in den ersten 24 Stunden nach der Festnahme. Das Kind wird aggressiv festgenommen, oft in der Nacht; ihm werden schmerzhaft die Hände zusammengeschnürt und die Augen verbunden. Es ist ferner körperlichen und verbalen Angriffen ausgesetzt. Über seine legalen Rechte wird es nicht richtig informiert.“ (das ganze Interview ist unter dem Kapitel „Historie&Besatzung“ nachzulesen)

Viele sitzen dann monatelang ohne Anklage und Verhandlung in israelischen Gefängnissen. Ihre Eltern können Sie in dieser Zeit dort nicht besuchen weil sie kein Visum für Israel erhalten.

viele Gefangenentransporter stehen vor dem Eingangsbereich

Heute nun habe ich mit die Örtlichkeit – mitten in Jerusalem- ein wenig näher angeschaut. Es ist wirklich erstaunlich wie zentral sich diese Einrichtung befindet. Keine 100 Meter entfernt sitzen die Menschen und gebeten bei einem Kaffee die herrliche Frühlingssonne. Mehrere Gefangenentransporter stehen vor dem Eingang des Gefängnisses. Junge Palästinenser wurden mit Hand- und Fußfesseln hineingeführt. Das Gefängnis ist, wie viele Gebäude hier rund um den Platz, diente einst den russichen Jerusalem-Pilgern: Auf einem am Eingang des Gefängnisses angebrachten Schild steht, dass dieses „Elisabeth Hostel“ 300 männlichen Pilgern als Unterkunft diente. Wie viel Gefangene mögen jetzt dort untergebracht sein?

das Gefängnis: ein ehemaliges russisches Hostel für männliche Pilger

Dem Gefängnis gegenüber, in einem, laut angebrachtem Schild, alten russischen Missionsgebäude, befindet sich das Gericht. Hier finden die Anhörungen statt, wonach entschieden wird, ob gegen die dort einsitzende Personen Anklage erhoben wird. Seit Jahren haben Mitglieder der Machsom Watch Gruppe sich die Erlaubnis „erkämpft“ als Beobachter an diesen Anhörungsterminen für junge Menschen. Sie sind dort, neben Richter, Staatsanwälten und Verteidiger die einzigen Vertreter einer Öffentlichkeit. Sie machen jeweils Protokolle von den Sitzungen die sie an Menschenrechtsorganisationen in Israel weiter leiten. Angehörige (wie zum Beispiel die Eltern) haben nicht die Möglichkeit an diesen Terminen teilzunehmen, da sich das Gebäude ja auf israelischem Grund befindet und sie das notwendige Visum nicht bekommen.

Roni sagte mir  in unserem gestrigen Gespräch, dass ihre Gruppe oft daran zweifelt, ob es was nutzt das sie dort bei den Anhörungen dabei sind. Aber vielleicht macht es eben doch ein wenig „Eindruck“ auf den Richter. Aber wenn es so ist, das 97,5 % der eingesperrten Palästinenser, letztlich schuldig verurteilt werden, lässt den Beobachter an einem fairen, nach rechtsstaatlichen Grundsätzen arbeitendem Gericht zweifeln.


Tageszitat zum 6. April aus „Recht ströme wie Wasser“:
Die größten Übeltäter sind jene, die sich nicht erinnern,
weil sie auf das Getane niemals Gedanken verschwendet haben,
und ohne Erinnerung kann nichts sie zurückhalten.
von Hannah Arendt

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

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