Unser zweiter Tag bringt uns in die beiden arabischen Städte hier in Galiläa: Kanaa und Nazareth. Beide Ortschaften haben in unserem „Bibelverständnis“ einen „Namen“ der uns an das erste Wunder Jesu und eben bei Nazareth an Maria, die Mutter Jesu und auch an das Familienleben der „heiligen Familie“ dort in Nazareth denken lässt. Aber es sind eben auch arabische Ortschaften die im „jüdischen“ Staat Israel liegen. Es sei daran erinnert, dass es in Israel derzeit mehr als 20% Einwohner gibt, die eben nicht dem jüdischen Glauben folgen, sondern Muslime und eben auch Christen (unter 2%) sind.
Der Tag beginnt mit der Erkenntnis, dass es auch in dieser Region nicht nur Sonnenschein gibt. Es regnet „vom Himmel hoch“, als ich heute morgen aus dem Fenster meiner Unterkunft schaue. Wie ich aus Erfahrung weiß, wird hier in diesen doch grundsätzlich sehr trockenen Regionen, das „fruchtbare Nass“ immer willkommen geheißen.
Ich will heute von der Begegnung mit Nabila Espanioly berichten, die wir, wie schon einige Male zuvor, in ihrem Büro in Nazareth getroffen haben. Nabila gehört der NGO Al Tufula an. Gerne könnt ihr meine Berichte über die bisherigen Treffen mit Nabila lesen, bevor ihr meinen Beitrag über das heutige Treffen lest. Heute habe ich von dem Vielen über das Nabila sprach, zur aktuellen politischen Situation, zu (möglichen) Zukunft für mich zunächst einmal aus ihrer Lebensgeschichte festgehalten, dass Sie, obwohl ein gutes Abitur vorlag, zunächst nicht zu dem von ihrem gewünschten Studium der sozialen Arbeit zugelassen wurde. Damals habe ich meinen ersten Kampf ausgefochten (und gewonnen). Nach der ersten Ablehnung und vieler Tränen darüber, hatte mir meine ältere Schwester deutlich gemacht, dass man mit Tränen nichts erreicht: „Wer weint, weint allein“, dass man für das was man für richtig hält eben kämpfen muss. So habe ich mit viel Engagement mein Ziel erreicht und konnte Sozialarbeit studieren. Auf Grund dieser Erfahrungen habe ich dann auch begonnen mich politisch zu engagieren. Ihre Familie stellt Nabila als eher unpolitisch da „sie liefen hinter der Wand entlang, das war nicht mein Ding“. Nach einem weiteren Studium in Deutschland hat sie dann 1987 begonnen sich vor allem für die palästinensischen Frauen und Kinder einzusetzen. Nach ihrer Einschätzung kommt die arabische Frau in Israel erst an 10. Stelle. Auch in der jüdischen Gesellschaft sieht sie starke rassistische Züge. So gibt es auch da eine Rangfolge, je nachdem aus welchem Land jemand nach Israel eingebürgert wurde.
In den letzten zweieinhalb Jahren wurde in Israel 5 Mal gewählt. Leider habe man nicht aus der politischen Krise, in der Israel sich befindet, die richtigen Schlüsse gezogen, nicht die richtigen Fragen gestellt, geschweige die richtigen Antworten gegeben. Grundlage des politischen Denkens sei allzu oft von der Einstellung geprägt : Wer die Macht hat, will sie nicht abgeben
Die aktuelle starke Protestbewegung in Israel, die sich vor allem gegen die geplante Justizreform der neuen rechten Regierung richtet, geht nach Meinung von Nabila „nicht tief genug“, da die wirklichen bestehenden Probleme, die durch die Besatzung entstehen, gar nicht benannt werden.
Obwohl Vieles gegen die „Zwei-Staaten-Lösung“ spricht, sieht Nabila nur über den Weg eines eigenen palästinensischen Staates gewährleistet, dass das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser erreicht werden kann. Angesichts der in diesem Jahr anstehenden 75 Jahr Feier zum Bestehen des Staates Israel, und der ebenfalls 75 Jahre Gedenken der NAKBA, das die Vertreibung der Palästinenser aus ihren Dörfern in den Jahren 1947748 beschreibt, meinte Nabila Lakonisch: Jeder/Jede hier in Israel weiß was damals passiert ist.
Der Ausspruch: Nie wieder!, vielfach, auch bei uns in Deutschland ausgesprochen, gilt für alle, eben auch für die Palästinenser.
„Schuld lähmt, wirklich Verantwortung übernehmen macht aktiv, wirkliche Veränderung wird möglich“
Angesprochen auf ihre Perspektiven in scheinbar aussichtloser politischer Situation, meinte Nabila: gemeinsam mit vielen Gruppen in Israel haben wir schon viel erreicht, Erfolge gehabt. Das gibt ihr Kraft weiterzumachen. Diese Kraft wird verstärkt durch die Liebe zu den Frauen und Kindern, ja zum ganzen palästinensischen Volk.
Wichtig ist es für Nabila die aufkommende Wut in positive Aktionen zu lenken, den Wut alleine lähmt nur. Es gilt neue Wege zu finden. Wo es Diskriminierung gibt es immer auch Menschen die dagegen angehen.
Tageszitat aus „Recht ströme wie Wasser“
Das regenerierte jüdische Volk in Palästina muss nicht bloß ein friedliches Zusammenleben mit dem arabischen anstreben, sondern auch eine umfassende Kooperation und Entfaltung des Landes. (Martin Buber)
Lieber Marius, wir haben heute Mittag im Friedensgebet der St. Augustinus Gruppe an euch und Nadila gedacht und um Frieden und Versöhnung in Palästina gebetet.
Danke, dass Du uns Anteil gibst an Deinen Erfahrungen und Begegnungen.
Viele Grüße
Markus Rischen