Nach Süden durch das fruchtbare Jordantal

Der Dritte Tag ist unser „Reisetag“. Nun geht es aus doch meist paradiesischen Zuständen“ in die „raue Wirklichkeit“, von der oft so „lieblichen“ Region am See in den „Brennpunkt“ dieser doch oft so friedlosen Welt in Palästina und Israel. In den letzten Jahren bin ich mit meinen Gruppen meist mitten durch das Westjordanland gefahren, wir haben im Friedenstheater in Jenin Halt gemacht und uns die Knafeh in der wunderschönen Altstadt von Nablus schmecken lassen. In diesem Jahr ist es ganz anders. Bedingt durch die gewaltsamen Vorgänge in letzter Zeit, vor allem in Jenin und Nablus, erschien es mir angebracht, zur Sicherheit meiner mir anvertrauten Gruppe, diese Region großzügig zu umfahren.

Kinderbunker

Bevor wir diesen wunderschönen Ort, etwa 1 km vom See Genezareth verließen, an dem am Morgen ein wunderschönes Konzert vieler Vögel die Bewohner:innen erfreut, an dem nach regnerischer Nacht auch wieder die Sonne scheint, haben wir uns durch die Kibbuz-Bewohnerin Nuri noch ein wenig zur Geschichte dieser Gemeinschaft und zum aktuellen Leben  erzählen lassen.

Ich habe schon des Öfteren über das Kibbuzleben hier berichtet, ich darf euch bitten es dort nachzulesen. Es ist noch ein Kibbuz der „alten“ Sorte, wie es nur noch ganz wenige in Israel gibt. 

„Nur die Reichen haben überlebt.“ Der Kibbuz Shar HahGolan, wo wir untergebracht sind, hat eine gut funktionierende Fabrik in der Kunststoffröhrchen für die Fußbodenheizung hergestellt werden. Jedes Jahr bekommen die Mitglieder des Kibbuzzes 30.000 Schekel Prämie weil die geschöäfte der an der Börse notierten Firma so gut gehen. Nuri, die seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hier lebt, spricht daher mit Blick auf der ursprünglich sozialistischen Grundausrichtung der Kibbuzbewegung davon, dass man halt für den Sozialismus „viel Geld braucht“.

Wir haben auch noch einen Blick in einen der insgesamt 20 „Kinderbunker“ geworfen.

In der Zeit nach dem sechs-Tagekrieg im Juni 1967 bis Anfang der 70. Jahre wurde der Kibuzz von militanten Gruppen aus dem nahegelegenen (etwa 1 km) ,meist in den Nachtstunden, mit Raketen beschossen. Alle Kinder schliefen zu dieser Zeit nicht bei ihren Familien, sondern waren in diesen Bunkern untergebracht.

im Bunker mit einem Bild der jungen Nuri

Auch haben wir noch einen Blick das Museum geworfen, was dem Kibbuz angegliedert ist. Dort sind äußerst interessanten Fundstücke aus dieser Gegend ausgestellt sind. Mehr dazu auf der Homepage.

Anschließend haben wir uns gegen 10 Uhr auf den Weg in den Süden begeben, durch das wunderschöne und sehr grüne Jordantal, begrenzt durch das palästinensische Bergland (bis zu 800 m hoch), auf der einen Seite und dem Jordan und der dahinter aufsteigenden jordanischen Bergkette auf der anderen Seite. Rechts und links der Straße befinden sich zahlreiche Bananen- und Dattelplantagen die fast vollständig von israelischen Siedlern die sich hier auf besetztem Gebiet ausgebreitet haben. Ganz vereinzelt sieht man noch palästinensische Dörfer, mit ganz bescheiden aussehenden Plantagen.

Auf dem Weg nach Ramallah, haben wir noch einen kleinen Stopp in dem kleinen Dorf Taybeh gemacht um dort einen Blick in die einzige Brauerei im Nahen Osten zu werfen. Ich habe schon einige Male über dieses interessante Projekt geschrieben.

wunderschönes Bergland

In Ramallah, dass uns mit starkem Verkehr und genauso starkem Regen, bei kühlen 7 Grad, empfing, hatten wir uns am Nachmittag mit Dorte Siegesmund von der Heinrich-Böll-Stiftung verabredet. 

die meine Gruppe über ihre Arbeit in dieser politischen Stiftung hier im Westjordanland informierte. Mit dabei auch eine Palästinenserin, die uns u.a. darauf aufmerksam machte, dass die derzeitige rechte und rassistische israelische Regierung, neben den auch bei uns bekannten und diskutierten undemokratischen Gesetzesvorhaben, wie zum Beispiel, dass Entscheidungen des obersten israelischen Gerichtshofes durch die Knesset, dem israelischen Parlament wieder aufgehoben werden können, eben auch viele Gesetze einbringen, bzw. schon beschlossen haben, die vor allem Auswirkungen auf die Palästinenser haben. So ist Beispielsweise ein Gesetz in Kraft getreten, dass ermöglicht, dass allen ehemaligen Häftlingen, ihr Bargeld abgenommen und das Konto gesperrt werden kann. Begründung/es wird behauptet: diese Menschen haben von der palästinensischen Autorität (PA) wegen ihrer terroristischen Straftaten Geld erhalten. Vor diesem Hintergrund ist die Reaktion der Palästinenser auf die aktuellen, großen Demonstrationen in Israel eher Verhalten, da sie aus Sicht der Palästinenser nicht den Kern der Probleme berühren, die die palästinensische Bevölkerung betreffen: die Besatzungspolitik mit all ihren schrecklichen Auswirkungen.

Anschließend haben wir uns durch den enormen Feierabendverkehr in Ramallah und am Checkpoint Qulandia gequält und sind gegen 18:30 in unserer Unterkunft in Beit Jala der Abrahamsherberge angekommen

Tageszitat aus „Recht ströme wie Wasser“

Die falsch verstandene Religiosität weist den Menschen “in seiner Not an die Macht Gottes in der Welt“. Der rechte Glaube weist ihn jedoch „an die Ohnmacht und das Leiden Gottes, nur der leidende Gott kann helfen“. Eine kontextuelle Theologie kann deshalb nur „theologia crucis“ sein.  (Mitri Raheb, Dietrich Bonhoeffer zitierend)

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

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