So weit die Füße tragen

Nun sind wir im Zentrum unserer Reise angekommen: die Region Jerusalem-Bethlehem. Von unserem Standort Beit Jala werden wir uns nun in den nächsten sieben Tagen in verschiedene Regionen bewegen: heute war ein erster Besuch in Jerusalem auf dem Programm. Kenner:innen meines Reiseprogramms mit Gruppen wissen, dass (normalerweise) der erste „Jerusalemtag“ gerne an einem Freitag stattfindet, schon alleine wegen dem besonderen Erlebnis der betenden und feiernden Juden zum Beginn des Sabbats (Sonnenuntergang) an der Westmauer (Klagemauer). Da aber in diesem Jahr am morgigen Freitag der Jerusalemer-Marathon stattfinden, bei dem viele Straßen gesperrt sind, die eine An-und Abreise erschweren, bzw. unmöglich machen, habe ich das Freitagsprogramm auf den Donnerstag gelegt.

ein schöner Morgen

Da wir eine so kleine Gruppe sind haben wir heute auch erstmalig auf die Anreise mit dem eigenen Bus verzichtet und sind mit dem öffentlichen Bus der Bethlehem/Beit Jala mit Jerusalem (Damaskus-Tor) verbindet, gefahren. Die Haltestelle in Beit Jala ist direkt vor unserer Unterkunft.

Wie es dann so ist, wenn man sich auf unbekannte Wege begibt, man erlebt Überraschungen und Unerwartetes:
der erste Bus fuhr an unserer Haltestelle einfach durch, der Zweite kam eine viertel Stunde später. Dann wurden wir am Auto-Checkpoint vom dortigen Wachdienst, ganz junge Personen, besonders „behandelt“. Erst ließ man den ganzen Bus warten, dann kommt eine junge Frau in den Bus und meint ganz lapidar, sie erwarte alle Fahrgäste zur Kontrolle außerhalb des Busses. Bisher hatte ich lediglich erlebt, dass die jungen palästinensischen Fahrgäste zur Kontrolle aussteigen mussten, nun also (sicherlich aus irgendeiner Laune heraus) mussten alle austeigen. Ich kann so eine Willkür ganz schlecht aushalten. Wir kamen erst nach mehr als einer Stunde an unserem Ziel, dem Damaskustor an. Auch auf der Rückfahrt gab es so einige Hindernisse. Nicht nur, dass der Bus sehr voll war, auch unsere Idee, wegen der zu erwartenden Staus, einen anderen Bus als am Morgen zu nehmen und zu Fuße durch den Checkpoint 300 in Bethlehem zu gehen, brachte uns unerwartete Schwierigkeiten. Dann auf der Bethlehemer Seite sich einfach ein bzw. mehrere Taxis für unsere Gruppe zu ordern zu stellte sich doch äußerst schwierig da. Natürlich stürzten sich die Fahrer auf uns, hatten aber preisliche Vorstellungen die wir nicht bereit waren zu erfüllen. Also geht man zu Fuß, aber schon bald merkte ich dass es für Mitglieder meiner Gruppe zu viel wurde.  Also haben wir uns dann doch noch Taxis genommen, dessen Preise nicht viel weniger waren, als die am Checkpoint angebotenen und sind gegen 19 Uhr in unserer Herberge angekommen

Unser Tagesprogramm haben wir wegen der langen Busanreise etwas gekürzt, den geplanten Besuch auf dem Jerusalemer-Markt haben wir auf die nächste Woche verschoben. Wie immer haben wir den „Jerusalem-Tag“ mit dem wunderschönen Ausblick vom Turm der Himmelfahrtskirche auf dem Scopus-Berg begonnen. Anschließend sind wir über den Ölberg in die Altstadt gelaufen. Dort haben wir das orientalische Treiben in den Gassen der Altstadt genossen. Mittags haben wir das Falafel-Sandwich gegessen und anschließend noch einen wunderschönen arabischen Kaffee getrunken, der mit einem ganz besonderen Verfahren aufgebrüht wurde. Das Kaffee-Pulver wurde mit dem Wasser in heißem Sand zum Kochen gebracht. Das hatte ich noch nie vorher so gesehen. Hier könnt ihr mehr zu diesem Verfahren lesen.

Kaffee in heißem Sand aufgebrüht

Zum Nachmittag hatten wir uns noch mit Pater Elias von der Dormitio verabredet. Er erzählte uns von den Schwierigkeiten bei der Renovierung, wollte von uns wissen, ob wir das kennen, dass Menschen, in dem fall die Bauarbeiter an der Dormitio immer genau das Gegenteil von dem Machen was man sich wünscht. Dies sei auf der Baustelle oft der Fall, deshalb verzögert sich die Fertigstellung auch enorm. Aber in der nächsten Woche, am Festtag des HL. Benedikt am 21. März wird der neue Altar eingeweiht. Zum späten Nachmittag haben wir noch einen Blick auf die West(Klage-)mauer geworfen.
Auch wenn die Politik heute eher im Hintergrund blieb war es heute ein langer, und oft auch anstrengender Tag. Wir sind sehr viel gegangen, für einen aus der Gruppe war es zu viel. Als ich heute Abend, als wir in schöner Runde bei einem Glas wein und leckerem Taybeh-Bier zusammensaßen und ich fragte, welche Überschrift ich für meinen heutigen Tagesbericht nehmen solle, meinte dieses Gruppenmitglied ganz spontan: So weit die Füße tragen

Gesprächsrunde bei Pater Elias

Natürlich war in den letzten Tagen in der Gruppe, aber auch mit unseren Gesprächspartner:innen der heute stattfindende Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Nethanjahu ein Thema. Tenor unserer Gespräche war auch auf Grund der bisherigen Erfahrungen bei solchen Gesprächen, meist, dass keine großen Erwartungen an diese Gespräche geknüpft werden. Die Bundesregierung hat sich ja auch bisher so gut wie gar nicht zur neuen Regierung und deren Pläne geäußert. Einigen aus der Leser:innenschaft meines Blogs ist es ja bekannt, dass ich für die Nahost-Kommission von pax christi, deren Mitglied ich seit Jahren bin, im Sprecherkreis des Koordinationskreises Palästina-Israel  (KoPI)mitarbeite. 
Wir haben nun ein an Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock anlässlich der zunehmenden Gewalt in Israel/besetzte Gebiete einen Brief verfasst. Darin wird auf Deutschlands Verpflichtungen aufgrund internationaler Verträge hingewiesen und eine Abkehr vom bisherigen Stillschweigen gefordert. Außerdem soll sich die Bundesregierung für den Schutz der Palästinenser einsetzen.

In diesem Zusammenhang möchte ich ebenfalls auf den offenen Brief von über 1.000 israelischen Kulturschaffenden an die Botschaften Deutschlands und Großbritanniens in Israel hin, in dem sie die beiden Regierungen auffordern, den Besuch Netanyahus sogar gänzlich abzusagen. Die Unterzeichner*innen warnen darin eindringlich vor den Folgen der umfangreichen Gesetzesvorhaben, die Israel unweigerlich in eine „theokratische Diktatur“ verwandeln würden.

Tageszitat aus „Recht ströme wie Wasser“

Wer seinen Freund zu Unrecht verdächtigte, soll ihn gleich um Verzeihung bitten.   (Talmud – Bavli Berachot 31)

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

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