Dass es in der palästinensischen Gesellschaft, also in der Gesellschaft die seit 1948 an Vertreibung und Unterdrückung leidet, Menschen gibt, die mit zivilgesellschaftlichem gewaltlosem Engagement und nicht mit Gewalt reagieren, ist gerade in diesen Tagen, wo die Gewalt auf beiden Seiten wieder einmal eskaliert, einer besonderen Würdigung und Ermutigung wert. Im Juli habe ich mit anderen deutschen Unterstützer/innen die Gruppe des Volkskomitees Ni`lin (eines von über 30 in ganz Palästina) in der Saeed Amireh (23 Jahre), nach der Inhaftierung
seines Vaters, trotz seines jugendlichen Alters, die organisatorische Leitung übernommen hat, für den „Bremer Solidaritätspreis 2015“ vorgeschlagen. Er ist mit 10.000 € dotiert und soll Personen und Initiativen ermutigen und würdigen, die sich für Menschenrechte und Demokratie sowie gegen die Folgen von Kolonialismus und Rassismus einsetzen. (www.lafez.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen60.c.1388.de) Seit 2004 demonstriert die Dorfgemeinschaft an jedem Freitag friedlich und gewaltfrei gegen die Besatzung, den Bau der Mauer und den damit einhergehenden Landraub.
Gestern hatte ich die Möglichkeit (dank der Bereitschaft von Anja mich mit ihrem PKW zu fahren) Saeed in seinem Dorf in Ni`lin zu besuchen.
Ni`lin ist ein Ort nahe (25 km) von Ramallah mit ca. 5.000 Einwohnern. Im Jahre 1967 gab es mehr als 12.000 Einwohner. Grund für den Bevölkerungsrückgang ist die Unterdrückung durch die israelische Besatzung, der die Bevölkerung seit 1967 gegenübersteht. In Ni`lin gibt es keine Marktstraßen, keine Bushaltestelle, keine Kulturstätten und öffentlichen Parks. Dort gibt es Wohnhäuser, Schulen, wenige Läden für die Waren des täglichen Bedarfes – und die Mauer. Die israelische Mauer verläuft durch palästinensisches Gebiet. Israel hat sich große Teile palästinensischen des den Bewohnern von Ni`lin gehörenden Farmlands (mehr als 80 %) angeeignet. Es wurden auf diesem Gebiet mehrere Siedlungen gebaut, Siedlern landschaftliches Gelände zur Verfügung gestellt und eine Landstraße zur Verbindung der Siedlungen gebaut. Alles darf nur von Israelis und nicht von Palästinensern genutzt werden; nach internationalem Recht ist dies illegal.
Saeed Amireh wurde selbst während gewaltfreier Demonstrationen bereits mehrfach angeschossen, er wurde
verhaftet und mit 17 Jahren für vier Monate in ein Gefängnis in Israel gesperrt. Das traf ihn auch deswegen besonders hart, weil er dadurch nicht seine Schule (Abitur) abschließen konnte.
Aber nicht nur er, sondern seine ganze Familie ist am Widerstand beteiligt und von dem oft brutalen Vorgehen der israelischen Soldaten betroffen: seine kleinen Schwestern wurden angeschossen, und sein Vater, Ibrahim Amireh, war, als einer der drei Anführer des friedlichen Widerstandes in Ni’lin, für ein Jahr inhaftiert und wurde, wie viele andere, gefoltert. Insgesamt sind bei den Protesten 5 Bewohner von Ni`lin ums Leben gekommen
Saeed Amireh hat im Rahmen mehrerer mehrmonatiger Vortragsreisen in den Jahren 2011/12/13 durch viele Länder in Europa – auch in Deutschland – in vielen Veranstaltungen sehr bewegend und eindrucksvoll über die Situation in Palästina und in seinem Dorf informiert. Er hat in dieser Zeit auch im schwedischen Parlament gesprochen und hat damit wohl auch die aktuelle Entscheidung der schwedischen Regierung, Palästina anzuerkennen „mit vorbereitet“. Mit seinen Vortragsreisen hat er ein großes Risiko auf sich genommen. Sowohl der Staat Israel wie die Palästinensische Autonomiebehörde haben nämlich schon oft Kritiker inhaftiert.
Bei unserem Besuch gestern zeigte uns Saad die Orte an denen es jeden Freitag zu friedlichen Protest kommt. Er informierte uns aber auch darüber, das es seit Jahren wöchentlich mehrmals auch zu (meist nächtlichen) gewalttätigen Übergriffen des israelischen Militärs kommt. Immer wieder dringen sie dann in Häuser ein und nehmen dabei auch Menschen in Haft. Gerade in der letzten Woche gab es auch wieder Schüsse und Tränengasangriffe auf das Dorf. Beklemmend für mich die „Wertstoffsammlung“ an Alu-Hülsen der Tränengaspatronen die uns Saeed präsentierte.
Mit dem nachfolgenden Text habe ich die Bewerbung für den Bremer Solidaritätspreis abgeschlossen:
„Es geht uns nicht um eine Einstaaten- oder eine Zweistaatenlösung, es geht nicht um Namen, es geht um einen gerechten Frieden, um Freiheit und es geht um unsere Würde!” Saeed Amireh.
Die Arbeit des Volkskomitees von Ni’lin (wie die der vielen anderen in Palästina) ist eine der sogenannten „Graswurzelbewegungen“, die von politischen Parteien unabhängig sind, und die den gewaltlosen Widerstand mit Demonstrationen und auf Webseiten, mit YouTube-Filmen und durch Informationen verbreiten. Es sind Menschen, deren Leben jeden Tag gefährdet ist, deren Land weggenommen wird und deren Menschenrechte zu Gunsten anderer nicht gewährleistet sind.
Lieber Marius,
während du diesen Blog schreibst und zeigst, dass es die Menschen gibt, die sich immer wieder (oder noch?) um ein friedliches Miteinander bemühen, hören und sehen wir hier in den Medien beinahe täglich von Unruhen im Westjordanland und zunehmend auch im israelischen Kernland. Wohin steuert das alles? Ist das Land auf dem Weg in die nächste Intifada?
Ganz offensichtlich sind die orthodoxen Religionsvertreter und ist die Regierung Nethanjahu nicht willens oder in ihrer Verbohrtheit auch nicht fähig zu lernen. Wie kann man denn Frieden ernten, wenn man tagtäglich Hass säht? Und unsere Regierung, winkt – Cheffin-Sache – den subventionierten Verkauf von Korvetten an das Nethanjahu-Regime durch. Wenn unsere Waffen- und Werft-Lobbyisten drängeln, dann verzichten wir darauf, unsere Möglichkeiten Druck auf Israel auszuüben, zu nutzen.
Unsere Herbstreise durch Israel/Palästina hat meinen Blick auf dieses Land und seine Probleme grundlegend verändert. Auch die Medien-Berichte sehe ich kritischer. Es ist gut vor Ort gewesen zu sein.
Je schlimmer die Lage wird, umso richtiger ist es Menschen wie Saeed Amireh und sein Volkskommtee Ni´lin für den Solidaritätspreis vorzuschlagen. Dass ihr das getan habt, verdient Anerkennung
Ich wünsche dir noch ein paar gute Tage in Palästina und eine gute Rückkehr nach Deutschland.
herzliche Grüße
Günter
Ich begrüße die Entscheidung auch……….dachte beim Besuch des „tent of nations“ auch an Daout Nasser, der einen Friedenspreis verdient hätte. Gruß Hildegard
Lieber Marius,
sehr schön dass du Saeed Amireh und das Dorf Ni’lin besucht hast. Saeed habe ich in Deutschland kennen gelernt. Wir haben in Bielefeld und Umgebung in den Jahren 2011 und 2012 Vorträge und Schulveranstaltungen organisiert. Saeed spricht authentisch und bewegend. Das war sehr eindrucksvoll und viele wünschen sich, dass Saeed bald wieder hierher kommt. Ich freue mich sehr, Saeed kennen gelernt zu haben und wir möchten ihn gerne wieder einladen.
Hier unser Interview mit Saeed (Englisch und mit Übersetzung ins Deutsche):
https://www.versoehnungsbund.de/nilin-videos
Herzliche Grüße
Gabi