„Kästchenhüpfen“ am Rande der Wüste

Vor einer Woche war ich noch mit meiner Gruppe bei Fatima am Rande der judäischen Wüste. (siehe auch Beitrag vom 18.10.2014) Heute hatte ich mich wieder mit ihr verabredet und wir haben mit ihrer großen Familie und mit Anja und Karim einen sehr entspannten, sonnigen und warmen Tag gemeinsam verbracht. Wie immer wenn ich mit Fatima zusammen bin ist es für mich sehr interessant, denn ich habe doch die Möglichkeit vieles aus ihrem so interessanten Leben, aber auch von arabischen Sitten und Gebräuchen und den vielen Besonderheiten der Beduinen zu erfahren. So war es auch heute und ich will im Folgenden ein wenig über den heutigen Tag berichten.

Fatima wohnt am Rande der Wüste
Fatima wohnt am Rande der Wüste

Fatima hat mich mit ihrem sehr alten Opel Kadett in Bethlehem abgeholt. Schon auf der Fahrt in ihr Dorf Za `tara klagte sie das der Monat Oktober für sie ein sehr anstrengender war: da war das wichtigste Fest im Islam das „Opferfest“ (auf Arabisch Id al-Adha) vier Tage lang zu feiern, es gab 10 Hochzeiten in der großen Beduinenfamilie die alle im Dorf oder in den benachbarten Dörfern wohnen, oftmals waren es mehrere Feiern an einem Tag. Überall wird erwartet das Sie als die Tochter des berühmten Scheichs, der bis zu seinem Tod als Stammesoberhaupt galt mit ihrem besuch das Fest und das Hochzeitspaar beehrt. Wenn sie nicht kommt „ist das eine Belastung für meine Familie“ So waren auch die fünf Todesfälle im Verwandtenkreis eine Belastung für Fatima, es wird hier von den Frauen erwartet das sie drei Tage im Trauerhaus bei den Hinterbliebenen Frauen „sitzen“. Ihr ältester Sohn hatte sich sein Bein gebrochen, ihr jüngster Sohn, der in Dubai lebt und arbeitet ,kam zum Opferfest. Er hatte seine Mutter schon lange gebeten ihm eine Frau zu verschaffen, also ist sie in den letzten Wochen auch noch auf Brautsuche gegangen und ist im Nachbardorf fündig geworden: eine „hübsche und liebe Frau“, die gerade Zahnarztausbildung beendet hat. Die beiden haben sich einmal kurz im bei sein von Fatima getroffen, leider hat der Onkel der Frau (der Vater arbeitet im Ausland) bis jetzt noch keine Zustimmung gegeben. Jetzt wird auf den Vater gewartet der bald in seine Heimat zurück kommt. Bis zur erwarteten positiven Entscheidung darf das mögliche Brautpaar keinen Kontakt aufnehmen. Der Sohn ist also wieder mit Hoffnung im Bauch…nach Dubai zurück gekehrt. Und dann war auch noch Johannes Roelofsen vom Verein Behindertennothilfe aus Deutschland da (siehe auch meinen Beitrag vom 5. Juni 2013) den sie zu einigen Familien begleiten durfte. Außerdem kamen, wie meine Gruppe, noch einige andere Gruppen zu ihr nach Hause, Gruppen die in Deutschland den Verein mit Spenden finanziell unterstützen. Neben diesen besonderen Aktivitäten ist sie auch das „Oberhaupt“ einer großen Familie, die sich in der Regel von Freitag bis Sonntag bei Ihr im Haus versammelt. Ganz schön viel für eine Frau…

Als wir durch ihr Dorf fuhren wurde sie von vielen an der Straße begrüßt, bei einer alten Frau hielt sie an, es wurden einige Sätze gewechselt, dann ist die Frau zu uns in den Wagen gestiegen und vielleicht 100 m mitgefahren. Fatima

leckeres Frühstück
leckeres Frühstück

erzählte, nachdem die Frau ausgestiegen war, dass alle im Dorf meinen, sie sei reich, weil sie halt immer wieder Besuch von Gruppen aus Deutschland bekommt. Diese Frau hat ein Augenleiden und muss hier und da eine Spritze haben die 1000 Schekel (200,- €) kostet. Fatima hatte ihr auch schon einmal etwas gegeben „aber ich kann nicht allen hier helfen. Jetzt hatte die Frau Fatima gebeten mich zu fragen ob ich ihr Geld für eine Spritze spende. „Die Leute meinen, alle die blonde Haare haben, hätten einen Sack voll Euro mit“

Bei ihr angekommen gab es erst mal ein verspätetes Frühstück. Wir beide saßen alleine, Ihre Töchter würden nie mit fremden Männern zusammen sitzen, auch nicht mit den Freunden ihrer Männer. Die ist wohl eine eher beduinische Tradition. So haben wir uns dann allein an den vielen kleinen Köstlichkeiten satt gegessen.

von hier ruft mein Muezzin in Qubeibaeh
von hier ruft der Muezzin in Qubeibaeh

Beim Essen erfuhr ich etwas zum Gebetsruf der Muezzin der gerade aus vielen Minaretten der umliegenden Dörfer erscholl: die Gebetszeiten richten sich nach der Sonne: morgens vor Sonnenaufgang, beim Höchststand am Mittag, bei der Hälfte zwischen Höchststand und Untergang am Nachmittag, zum Sonnenuntergang und dann das der fünfte Gebetsruf eine Stunde nach Sonnenuntergang. Früher in der Wüste haben sich die Beduinen nach dem Schatten der Sonne gerichtet, des morgens „half“ der erste Hahnenschrei zur Orientierung.

Das Haus von Fatima liegt ganz nahe an der Wüste, hier und da hat es auch schon mal Schlangen und Skorpione, deshalb spielen die Kinder eher drinnen, oder „auf dem Dach“ wo Fatima zum Erstaunen der Familie/Nachbarn -da unüblich- ein Gitter angebracht hat damit „keiner hinunter fällt“ So wie das Anbringen des Gitters, ist vieles was Fatima tut, in den Augen der großen (Dorf) Familie (nicht ihrer engen eigenen Familie) etwas besonderes, verstößt gegen traditionelle Regeln. Wenn sie beispielsweise alleine ins Ausland reist, oder nur mit mir „als fremden Mann“ mit dem Auto fährt. Für Fatima bedeutet es oft eine „Zwickmühle“ ,ich muß für ein solches Verhalten einen „Preis“ zahlen, habe oft das Gefühl „ich mache etwas falsch“.

Auf der Straße spielte Karim mit zwei Enkel von Fatima Kästchen hüpfen, ein uraltes Spiel aus Deutschland. Die Oma Fatima hat es bei ihrem Schulbesuch auf Talitha Kumi gelernt und nun ihren Enkelkindern beigebracht

 

"Kästchenhüpfen" am Rande der Wüste
Karim und Yussuf beim „Kästchenhüpfen“ am Rande der Wüste

 

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

1 Kommentar

  1. Lieber Marius,

    Habe zwischenzeitlich ein wenig in Deinem Blog geschmökert. Interessant auch der Auftrag an die Mutter zur Brautsuche. Würde sich hier jeder Sohn verbitten. Danke auch für den Hinweis auf den Gottesdienst am See Genezareth. Schauen wir uns gerade an. Auch schon die Vorberichterstattung mit sehr schönen und uns bekannten Eindrücken weckte Reiseerinnerungen.
    Wünsche Dir noch einen erfolgreichen und angenehmen Restaufenthalt in Palästina, bis bald.

    LG, auch von Johanna

    Funcky

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