Besuch in der „Heimat“

Heute nun bin ich mal wieder in die Region Bethlehem/Beit Jala gefahren die ich als meine „Heimat“ in Palästina bezeichnen möchte. Dort also, wo ich erstmals bereits im April 2010, nach einer Gruppenreise mit einem jüdisch/israelischen Veranstalter, für einige Tage bei Familie Mukarker (in Beit Jala) wohnen durfte, und dort wo ich im April 2012 für 4 Wochen auf dem Weinberg der Familie Nassar, meine „aktive“ Zeit in und für Palästina begonnen habe.

"Schabbat-Ruhe"
„Schabbat-Ruhe“

Auch heute Morgen bin ich erst einmal durch dass schöne kleine jüdische Stadtviertel gebummelt, welch ein anderes Bild bot sich mir heute am Sabbat. Leere Straßen, wenig Menschen, wenn dann gingen sie Augenscheinlich zur Synagoge, die Frauen sehr schick angezogen, die Männer meist den Gebetsmantel (Talit) unter dem Arm. Ein wenig bedaure ich es schon bei dieser schönen und so ruhigen Feiertagsatmosphäre, dass bei uns auf den Straßen am Sonntag oft so gar nicht mehr zu spüren ist, dass der Tag ein Ruhetag sein sollte.

Dann habe ich mich so gegen 9 Uhr auf den Weg zum Weinberg

Blick auf den Weinberg mit Crossbahn
Blick auf den Weinberg mit Crossbahn

gemacht. Früher bin ich noch in Bethlehem in das Service-Taxi umgestiegen, heute kenne ich mich besser aus. Ich steige an der Stelle wo auch die Fahrzeuge nach Nahalin und Hussan stehen (1 km hinter dem großen Checkpoint an der Straße 60 nach dem Gilo-Tunnel), um in ein Service-Taxi nach Hebron. Nach etwa 4 km, am Abzweig zu der Siedlung Neve Daniel bin ich ausgestiegen. Wusste ich bei meiner ersten Ankunft im April 2012 noch nicht wo sich der Weinberg befindet, weiß ich auch hier jetzt besser Bescheid und nach wenigen hundert Metren stehe ich auf der Kuppe und sehe den schönen Weinberg und links davon über das palästinensische Dörfchen Nahalin weiter über die Siedlung Beitar Illit bis zum Mittelmeer. Eine tolle Aussicht.

Natürlich versperren immer noch zwei große Stein- und Felshügel den Weg. Auch haben mittlerweile die Bewohner der Siedlungen hier verschiedene Routen für das Crossrad „verlegt“.

3.000 Weinstöcke wollen gepflanzt sein
3.000 Weinstöcke wollen gepflanzt sein

Links vom Eingangstor zum Weinberg waren Männer aus Hebron dabei eine Zisterne zu erstellen. Auch hier wird ein Gelände wieder urbar gemacht und für ein notwendiges Wasserreservoir gesorgt. So gibt die Familie Nasser anderen Landbesitzern hier den Mut doch auch wieder auf ihrem Land aktiv zu werden. Ich muss nicht extra erwähnen, das der Bau eines Wasserspeichers hier im C-Gebiet illegal ist und der Landbesitzer mit einem Abrissbefehl rechnen kann……

So wie die Familie Nasser schon ein Dutzend und mehr Abrissbefehle bekommen hat, die letzten wie ich heute erfuhr in den letzten Wochen. So soll der Zaun um das Tiergehege, eine Höhle und Olivenbäume im Tal abgerissen werde. Wie immer in den letzten Jahren hat die Familie durch ihren Anwalt dem Bescheid widersprochen ….und dann passiert erst mal nichts.

Heute traf ich die beiden Brüder Daher und Daoud beim Pflanzen

das macht Daoud am Liebsten
das macht Daoud am Liebsten

von jungen Weinstöcken. Insgesamt werden in diesen Wochen 3.000 Weinstöcke (Chadonay) gepflanzt. Ich hatte im April die beiden Volontäre Simon und Johannes dabei beobachtet, wie sie Eisenpfähle in den Boden trieben und Draht verspannten.

Drei Nasser Brüder: ein seltenes Bild Daoud, Daher und Toni
Drei Nasser Brüder:
ein seltenes Bild
Daoud, Daher und Toni

Ja der Weinberg will seinem Namen nun wieder alle Ehre machen. Man möchte in Zukunft hier auf dem Weinberg 5.000 l Wein produzieren (wenn möglich in Bio-Qualität) und die restlichen Trauben eventuell dem benachbarten Weingut Cremisan verkaufen. Ich erfuhr auch, dass bereits in den 30iger Jahren des vorigen Jahrhunderts, der Großvater an dieser Stelle des Weinberges bis zu 25.000 Weinstöcke hatte. Der Wein wurde damals sogar nach Europa exportiert. 1936 wurden alle Weinstöcke zerstört. Bis heute weiß man nicht wer es und warum es getan wurde.

Ja und dann konnte ich sogar bei der aktuellen Weinproduktion ein

Höhle zum Weinkeller umfunktioniert
Höhle zum Weinkeller umfunktioniert

wenig zuschauen. Als ich vor zwei Wochen hier war wurden gekaufte (!) Trauben gepresst und in die ebenfalls gekauften Stahlbehälter gefüllt. Heute nun wurde der sich schon abgesetzte Traubensaft abgelassen und die Trauben erneut gepresst. Geplant ist es zum Weinbergjubiläum (100 Jahre Nasser`s Weinberg) im Mai 2016 den Gästen de ersten wein Jahrgang 2015 anzubieten. Man darf sich schon freuen.

 

Ich hatte auch einen ganz besonderen Grund hier auf den Weinberg zu kommen. Ich hatte bei meinem Besuch vor zwei Wochen davon berichtet das Thomas Nitsche von der „Regenbogenwerkstatt e.V.“ im Mai 2013 ein Interview mit Amal Nasser der Schwester von Daoud und Daher gemacht hatte. Wie erwähnt hat der AphorismA Verlag in Berlin dieses Interview in seiner Reihe „Kleine Texte“ nun veröffentlicht. Als ich von Amal bei meinem Besuch erfuhr, dass sie noch kein Heft besitze, habe ich per Mail bei dem mir bekannten Berliner Herausgeber Rainer Zimmer-Winkel nachgefragt. Der berichtete, dass er bei seinem letzten Besuch in Jerusalem vor einigen Wochen zwei Exemplare dieses kleinen Heftes bei der evangelischen Pastorin der evangelischen Gemeinde in Jerusalem, Gabriele Zander, für Amal abgegeben habe. Pastorin Zander hat mir nun diese beiden Exemplare mitgegeben, damit ich sie Amal persönlich überreichen. Ich traf Amal an ihrem Arbeitsplatz im Caritas-Kinderkrankenhaus in Bethlehem. Sie war sichtlich bewegt als ich ihr kurz das Heft vorstellte und die Grüße und Glückwünsche aus Deutschland übermittelte

Amal Nassar
Amal Nassar

 

Hier, sozusagen als Appetit-Happen“, kleine Auszüge aus der Einführung zum Interview von Thomas Nitsche:

Amal Nassar, ist Kinderkrankenschwester, und Mitglied einer Clowngruppe, die –angeregt durch ein Gruppe Italiener – seit 2008 in Palästina den kranken Kindern ein Lächeln schenken. Dies ist auch die grundlegende Lebensphilosophie von Amal: durch Hoffnungsbotschaften im Angesicht einer allgegenwärtigen Bedrohung, besonders als Frau in einer Männer dominierten Gesellschaft sich über vieles Zermürbende hinwegzusetzten. Das Interview mit Amal zeigt ein anderes Palästina, eines was Zukunft und Strahlkraft hat. Es wird keinen Frieden geben, wenn man die Vernünftigen vernachlässigt, wenn man vor allem die Frauen, die in allen Kulturkreisen das Leben und Überleben ihrer Gesellschaft sicherstellen, übergeht und ignoriert. Die Familie Nasser durchbricht den Kreislauf der Gewalt in dem sie negative Energien in Form von Wut, Frust und Aggression in eine positive schöpferische Energie wendet, dadurch nutzbar macht für die Friedensarbeit – ein zukunftsweisender Weg für ein Volk das oftmals nur die Aufgabe/Resignation (Droge/Emigration) oder den bewaffneten Widerstand (Steinewerfen, (Selbstmord-)Attentate als formen des Überlebens erlernt hat.

Weiter Infos zum Büchlein hier

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

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