Um 5.00 Uhr am Checkpoint 300 in Bethlehem

Es ist kurz nach Fünf als ich heute Morgen mein Hotel verlasse. Draußen ist es noch dunkel, die Luft ist klar aber noch empfindlich kühl. Es ist ruhig, Bethlehem scheint noch zu schlafen. In der Ferne ruft der Muezzin zum ersten Gebet. Ab und zu fährt ein Auto oder Taxibus mit hoher Geschwindigkeit an mir vorbei Richtung Mauer, Richtung Checkpoint.

nach einer halben Stunde vor dem ersten Drehkreuz
nach einer halben Stunde vor dem ersten Drehkreuz

Das ist auch mein Ziel zu der für mich „nachtschlafender“ Zeit. Ich hatte mir schon immer einmal vorgenommen mir ein eigenes Bild von der morgendlichen „Rushhour“ am Checkpoint zu machen, wenn die Menschen aus Palästina die eine Arbeitserlaubnis in Jerusalem/Israel haben, über die Grenze wollen. Je näher ich an den Grenzübergang komme so um so lauter wird es. In Sichtweite der Mauer halten viele Kleinbusse und PKW aus denen überwiegen Männer mit meist müden Gesichtern aussteigen, Viele führen einen Plastikbeutel mit in dem, so vermute ich, ihr Essen ist. Manche haben aber auch ihr Handwerkzeug dabei: Wasserwaage, Fliesenschneider etc. Sie alle eilen mit schnellen Schritten an den Eingang eines ca. 100 m langen und 1m breiten Ganges der, begrenzt mit Mauer und Gitter in den Grenzübergang hinein führt. Vor dem Eingang stehen zahlreiche Händler die heißen Tee und Kaffee aber auch Sesamkringel oder andere Nahrungsmittel anbieten. Viele, vor allem sehr junge Palästinenser gehen an der Seite des Ganges vorbei um am Ende, vor dem ersten eisernen Drehkreuz, über die Mauer und das Gitter zu klettern, und sich sozusagen „vor pfuschen“.

hier wird auch "vorgepfuscht"
hier wird auch „vorgepfuscht“

Die, die den „normalen“ Weg gegangen sind, haben bis an diese Stelle bereits eine halbe Stunde benötigt, lassen das ziemlich teilnahmslos über sich ergehen. Es gibt nur wenige Proteste.

Ich selbst bin dann den Gang zum ersten Drehkreuz auf der Seite gegangen, der für die Menschen gedacht ist, die von Jerusalem kommend, wieder nach Bethlehem zurückkehren. Ich konnte hier beobachten wie die Menschenmasse schweigend durch das Drehkreuz ging, um auf der anderen Seite mit schnellem Schritt oder laufend über eine ca. 50m breite offene Fläche in einem weiteren Gebäude zu verschwinden. Dort sind weitere Drehkreuze, dort wird auch der Rucksack und andere Gegenstände die aus Metall sind –wie bei uns am Flughafen- durchleuchtet.

Bei mir stand auch eine Freiwillige von EAPPI, die, wie sie mir sagte, jeden Morgen ab 4.00 Uhr an dieser Stelle das Geschehen beobachtet. Immer wieder wurden einzelne Männer von dem zivilen Wachdienst scheinbar willkürlich „herausgeholt“ und nach der Kontrolle des Ausweises und der Arbeitserlaubnis mit einer kreisenden Fingerbewegung zurückgeschickt. Viele versuchten es dann, wie ich beobachten konnte, ein zweites Mal. Gegen sechs Uhr öffnete in Sichtnähe von mir ein weiteres Drehkreuz. Durch diesen Eingang durften nun „legal“, an der langen Schlange vorbei, alle Frauen und die Männer mit einer besonderen Erlaubnis (z.B. Kranke) das erste Drehkreuz passieren.

für die einen eine Tortur, für die anderen ein Geschäft
für die einen eine Tortur, für die anderen ein Geschäft

Hier kontrollierten zwei sehr junge Soldatinnen, die eine hatte so ein kindliches Gesicht, sie wirkte auf mich wie gerade sechszehn. Wenn dann ein solches „Kind“ bewaffnet und mit schusssicherer Weste, einen erwachsenen Mann, der ihr Vater, ja ihr Großvater sein könnte, zurückschickt weil irgend etwas ihr nicht passt, am Gesicht, am Ausweis oder weil sie gerade Lust dazu hat, dann kann sich jeder vorstellen was der soeben abgewiesen für Gefühle hat. Der Sondereingang schloss im Übrigen schon nach 45 Minuten. Die Mitarbeiterin von EAPPI meinte zu mir, dass dies mit den benötigten zusätzlichen Soldaten zu tun hat. Von ihr erfuhr ich auch, dass jeden Morgen bis zu 8.000 Menschen in der Zeit zwischen 5 und 8 Uhr durch diesen Checkpoint gehen. An guten Tagen, wie heute, brauchen die Menschen zwischen 60-90 Minuten bis sie auf der anderen Seite angekommen sind. Nach neuesten Angaben des israelischen Industrieverbandes arbeiten über 28.00 Palästinenser legal in Israel, die Zahl derer die sich illegal in Israel aufhalten (sie klettern über die Mauer oder kommen über Stellen nach Israel, die noch nicht gesichert sind) ist wesentlich höher, Schätzungen sprechen von bis zu 40.000 Tausend) Wie mir gesagt wurde, wissen die Israelis davon, aber sie brauchen die (billigen) Arbeitskräfte dringend.

Die Sonne geht auf
Die Sonne geht auf

Es ist nun sieben Uhr, mittlerweile ist die Sonne über aufgegangen auch heute wieder werden tausende Pilger aus aller Welt mit dem Bus in fünf Minuten durch das Tor der Mauer fahren und die Geburtsstätte Jesu in Bethlehem besuchen faszinierend.

Zum Thema Checkpoint siehe auch meinen Beitrag vom 31. Mai 2013 (Eine Anmerkung zu den Bildern in meinem Beitrag vom letzten Jahr: der „Ein-und Ausgang“ des Checkpoints 300 in Bethlehem ist „verschönert“ worden, die „käfigartigen“ Gänge die ich dort noch letztes Jahr fotografiert habe sind etwas breiteren und „freundlicher“ wirkenden Gängen gewichen.)

Über Marius S. 405 Artikel
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich die Möglichkeit, mir durch längere Aufenthalte im Westjordanland/Palästina, ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im israelisch/palästinensischen Konflikt zu machen. Ich habe in dieser Zeit unter anderem aktiv im international bekannten Friedensprojekt "Tent of Nations" in der Nähe von Bethlehem (2012) und in einem Heim für alte und behinderte Frauen in der Nähe von Ramallah (2013) gearbeitet. Darüber hinaus habe ich seit dem verschiedene Gruppen bei Begegnungsreisen in Israel, Palästina und im Herbst 2015 auch in Jordanien begleitet. In vielen Kontakten mit palästinensischen und israelischen Menschen hatte ich die Möglichkeit, deren Gefühle und Einschätzungen zum Leben und zum Konflikt zu erfahren. Durch diese Erlebnisse und Erfahrungen vor Ort bin ich motiviert worden, mich auch hier in Deutschland für eine Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinenser einzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich Kontakt mit der Nahost-Kommission von pax christi aufgenommen und bin seit 2013 dort Mitglied.

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